Der schöne Schein der Adoleszenz
Vom Jugendwahn zur Altersverachtung ist es
nur ein kleiner Schritt
Vor einiger Zeit entdeckte der Verfasser über dem Portal einer
altehrwürdigen Schule in Essen den Spruch „Heilig sei die Jugendzeit.“ Ein wie für
die Ewigkeit in Stein gemeißelter Satz, der einem gerade zwischen den Jahren zu
denken gibt. So ist er zwar vor über einhundert Jahren als Motto für Schulzeit
und Jugendalter ausgewählt worden und datiert mithin aus der Ära der
Kaiserzeit; programmatisch hat dieser Satz allerdings nichts von seiner
Aktualität eingebüßt. Er beschreibt vielmehr die Überhöhung einer bestimmten
Phase menschlicher Entwicklung und gibt einen Fingerzeig auf einen gegenwärtig
zu beobachtenden gesellschaftlichen Prozess: Dem Übermaß an Aufmerksamkeit, die
dem so vergänglichen Phänomen der Jugend
zuteil wird.
„Jugend ist Trunkenheit ohne Wein“, hat Johann Wolfgang
Goethe einst in lyrischer Form zu Protokoll gegeben; ein Hinweis darauf, dass
die Jugendzeit zu allen Zeiten ebenso verehrt wie verklärt wurde. Die heutige
Zeit scheint aber geradezu berauscht zu sein von Jugend- und Adoleszenzverehrung.
Jugendwahn und Jugendfixierung sind die alles beherrschenden Chiffren der Postmoderne:
Auf Zeitschriftentiteln, in Fernsehserien, Büchern, Filmen und selbstredend in
der Werbung sind junge Menschen in einer Fülle vertreten, die dem tatsächlichen
Anteil dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung krass entgegenstehen.
Jugendlichkeit und gutes Aussehen sind offenkundig angesagt. Magazine, Waren
und TV-Produktionen verkaufen sich besser, wenn sie mit jugendlichen
Darstellern aufgepeppt werden, die im Glanze ihrer Jugend Maienblüte stehen.
Dabei gehören Werden und Vergehen, Blüte und Verfall seit
jeher zum menschlichen Dasein. Die Verklärung der Jugendzeit mitsamt ihrer
vermeintlichen Attribute Schönheit, Attraktivität und Leistungsstärke dürfte
damit ebenso alt sein wie die Menschheit daselbst. Eine relativ kurze Phase im
Leben eines Menschen erhält damit eine Aufmerksamkeit, die alle darauf
folgenden Lebensstufen buchstäblich „alt“ aussehen lässt - mit teilweise gravierenden
Folgen. Denn dort, wo gutes Aussehen und Jugendlichkeit zu den Kennzeichen des
modernen Menschen gehören und einen sozialen Machtfaktor innerhalb der
Gesellschaft darstellen, scheint kein Platz mehr zu sein für Älterwerden,
Faltenbildung und schütteres Haar.
Für die vom ruinösen Verfall Bedrohten steht allerdings
ein umfangreicher Vorrat an Cremes, Wässerchen und Pflegeserien zur Verfügung;
diese gehören ebenso zum Arsenal des zeitgenössischen Menschen wie der regelmäßige
Besuch von Fitnessstudios, Nasenkorrekturen oder Botox-Injektionen. Eine ganze Anti-Aging-Industrie
hat sich darauf spezialisiert, Jugendlichkeit und junges Aussehen möglichst
dauerhaft zu konservieren. Dabei ist Altern als biologischer Prozess weder
umzukehren noch signifikant aufzuhalten; die meiste Zeit unseres Daseins werden
wir alt sein - und dementsprechend alt
aussehen. Eine für viele Zeitgenossen offenkundig erschreckende Vorstellung.
Signifikante Wegmarken des eigenen Lebens, z. B. der vierzigste oder gar fünfzigste
Geburtstag, geraten aus dieser Perspektive zu einer einzigen Horrorvorstellung.
Die allgegenwärtige, fast schon pathologische
Jugendfixierung treibt darüber hinaus skurrile Blüten: Angehende Silver Surfer scheuen sich auch vor dem
Hintergrund einer alternden Gesellschaft immer weniger, mit den Insignien und Inbegriffen
einer popkulturellen, jugendlichen Markenwelt zu posieren. Obwohl (oder gerade
deswegen?) die Erfindung der „werberelevanten Zielgruppe der 14- bis
49-jährigen“ ausgerechnet die konsumfreudigen und nachweislich liquiden,
älteren Jahrgänge bewusst ignoriert. Vom Jugendwahn zur Altersverachtung ist es
indes nur ein kleiner Schritt: Altersbashing war in den vergangenen Jahren
schwer in Mode. Das Wort „Rentnerschwemme“ hat es vor einiger Zeit sogar zum „Unwort
des Jahres“ gebracht - auch wenn es der Begriff „Altenplage“ vielleicht noch viel
mehr verdient gehabt hätte.
In den letzten Jahrzehnten hat, offenkundig vom Turbokapitalismus
stark begünstigt, ein krasser Wertewandel eingesetzt, der Altsein mit
Attributen wie krank, unansehnlich, kostenverursachend, gebrechlich und
leistungsschwach gleichsetzt. Altwerden ist wie Dicksein oder Krankheit
gesellschaftlich überwiegend negativ konnotiert. Dabei ist Alter aus
historischer Perspektive ein durchaus positiv besetzter Begriff: Im alten Rom
und im antiken Sparta existierte ein Senat (wörtlich
Ältestenrat), der durch Weisheit und abgeklärte Lebenserfahrung eine
wichtige, beratende Funktion in Staatswesen und Polis ausfüllte. Auch Judentum
und Christentum haben traditionell eine hohe Achtung vor dem Alter, man denke nur
an die alttestamentarische Figur des weisen Methusalem, der angeblich erst im biblischen
Alter von gerade einmal 969 Jahren verstarb.
Der Respekt vor dem Alter scheint in der heutigen Zeit
zugunsten der Jugendfixierung teilweise verloren gegangen zu sein. Dabei sind Schönheit
und Jugendlichkeit kurzlebige und vergängliche Phänomene, die man denjenigen
überlassen sollte, die tatsächlich jung und schön sind. Der Menschheit ewiger
Traum vom Jungbrunnen hat sich, trotz aller technischen Finessen der Moderne,
bislang nicht realisieren lassen. Wer sich nicht rechtzeitig mit diesen
unumstößlichen Fakten arrangiert und mit dem Älterwerden seinen Frieden macht, tappt
in die Falle eines vorbestimmten Altersunglücks.
Ganze Kohorten der auf den gängigen Jugendkult Fixierten, die dem schönen
Schein aus Makellosigkeit, glatter Haut und ewiger Adoleszenz erlegen sind,
laufen Gefahr, ein kollektives Altersunglück zu erleiden.
Doch dazu muss es nicht kommen. Eine gelassene,
abgeklärte Haltung zum Altern mit all seinen Begleiterscheinungen und
Phänomenen, eine bewusste Abkehr vom Zahlenkult der Mehrheitsgesellschaft und
eine Rückbesinnung auf diejenigen Werte im Leben, auf die es tatsächlich
ankommt, weisen einen Ausweg. Auch ein wenig Demut vor dem Alter könnte nicht
von Schaden sein. Der ein wenig abgedroschene Satz, nachdem man immer nur so
alt sei, wie man sich gerade fühlt, tut ein Übriges. Er spannt einen Bogen vom
kalendarischen zum biologisch gefühlten Lebensalter, ohne dieses beschönigen
oder relativieren zu wollen. „Heilig sei die Jugendzeit“ hieß es zu Beginn. Durchaus,
möchte man hinzufügen, die verbleibende Lebenszeit danach aber auch!
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