Montag, 31. August 2015

Die Mühsal des Daseins

Die Mühsal des Daseins
Camus’ Sisyphos könnte aus Berlin-Friedrichshain stammen. Eine Spurensuche

Das Leben ist nicht immer einfach. Die ewige Sorge ums Dasein kann einen schon mal um den Schlaf bringen oder doch zumindest gehörig die Stimmung verhageln. An manchen Tagen kommt es ja auch knüppeldick: alles Schlechte scheint sich sodann verabredet zu haben, um uns mit List und Gemeinheit die Niederungen des Daseins vor Augen zu führen.

Als literarisches Sinnbild für die ewige Mühsal der Existenz gilt „Der Mythos des Sisyphos.“ Das philosophische Hauptwerk des französischen Existentialisten Albert Camus (1913-1960) beschäftigt sich mit der Absurdität der menschlichen Existenz. Camus’ Held, Sisyphos, wurde von den Göttern dazu verurteilt, unablässig einen schweren Felsblock einen Berg hinaufzurollen.

Sobald Sisyphos den Gipfel des Berges erreicht, rollt der Stein kraft seines eigenen Gewichtes wieder hinab. Alle Arbeit, alle Mühsal ist umsonst. Die Strafe der Götter stellt sich als eine besonders grausame dar, denn sie verurteilt Sisyphos zu einer vollkommen sinnfreien Strafarbeit, welche die Absurdität und Verlorenheit des menschlichen Daseins offenlegt.

Das Spannungsverhältnis zwischen einer vermeintlich sinnlosen Welt und einer menschlichen Existenz, die ihrem Dasein darin einen objektiven Sinn zuschreiben möchte, begründet das Absurde. Nun gibt es auf diesem Planeten Orte, an denen sich Mühsal, Sinnlosigkeit und menschliche Sorge zu einer geheimnisvollen Melange verdichten. Absurde Orte.

Ein ebensolcher Ort befindet sich in Berlin, mitten im Hipster-Stadtteil Friedrichshain. Die Ecke Mühsam-/Sorgestraße ist offenkundig ein solch problembeladener Ort, an dem die ganze Last des Daseins das Individuum zu erdrücken droht. Wie viel Mühsal und Sorge vermag ein Menschenleben an solch bedrückendem Ort schultern? Hat Sisyphos hier einst gelitten?

Problembeladene Zone: Ecke Mühsam-/Sorgestraße

Die Namensgeber der Kreuzung, Erich Mühsam (1878-1934) und Richard Sorge (1895-1944), können keine Auskunft mehr geben, sie sind längst tot. Erich Mühsam war Anarchist und Schriftsteller, der von den Nazis ermordet wurde. Der Kommunist Richard Sorge war als Spion für die UdSSR im Zweiten Weltkrieg aktiv und wurde dort als „Held der Sowjetunion“ verehrt.

In dem Aufbegehren gegen die absurde Existenz erlangt Sisyphos am Ende die Freiheit wieder und kann sich auf diese Weise selbst verwirklichen. Er nimmt sein Schicksal durch Verachtung an und besiegt dadurch das Urteil der Götter - und das alles mitten in Berlin, wer hätte das gedacht! Als ob es hier nicht schon genug bedeutungsvolle Orte von Weltrang gäbe.

Mühsam und Sorge - Nomen est omen auf ewig? Weit gefehlt! Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) hat drei Dinge auserkoren, die helfen, die Mühsal des Lebens zu tragen: Den Schlaf, die Hoffnung und das Lachen. Das sollte auch an problembeladenen Zonen wie der Ecke Mühsam-/Sorgestraße funktionieren. Aller Absurdität der menschlichen Existenz zum Trotz.

Albert Camus hätte das vielleicht gefallen.