Sonntag, 10. Januar 2016

Die Zeit, die Zeit

Die Zeit, die Zeit
Gedanken zum Jahresanfang: Über das Wesen der Zeit

„Allem Anfang wohnt ein Zauber inne“ heißt es. Darin kommt die Hoffnung zum Ausdruck, dass jeder Neustart die Dinge positiv verändern kann. Der Jahresanfang ist ein solcher Neubeginn, der vielfach mit Vorsätzen, Wünschen aber auch Sorgen einhergeht. Das Ende des alten und der Beginn eines neuen Jahres markieren eine Wegscheide. Grund genug, sich einmal mit dem Wesen der Zeit zu befassen.

Zeit - das ist am Anfang eines Jahres zunächst einmal der Zeitsprung vom alten in ein neues Jahr. Die Zeit wird im täglichen Leben vor allem durch messbare Einheiten erfahren: Jahre, Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden. Das ist jedoch nur die äußere Gestalt der Zeit, ihre messbare Seite, die ganz und gar menschengemacht ist. Aber die Zeit ist mehr als das.

In unserer subjektiven Wahrnehmung wird die Zeit nicht nur durch den Kalender und die Uhr, also den Instrumenten zur Messung der Zeit erlebt, sondern auch durch die Jahreszeiten zyklisch strukturiert. Die Jahreszeiten fungieren als Beharrungskräfte gegen den Mahlstrom der Zeit. Sie sind die wiederkehrenden, äußerlich sichtbaren Rituale eines ständigen Werdens und Vergehens, die zum Innehalten einladen.

Der zyklische Rhythmus der Jahreszeiten gibt ähnlich den Mond- oder Sonnenphasen Orientierung und Sicherheit im Kampf gegen die Linearität einer unaufhaltsam verstreichenden Zeit. Der Philosoph Hegel hat mit dem Begriff der „Furie des Verschwindens“ die Schreckensherrschaft der Französischen Revolution bezeichnet. Er lässt sich jedoch auch vorzüglich auf die Zeit anwenden.

Die winterliche Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz

Konstitutiv für die Zeit ist, dass sie permanent vergeht. Was eben noch Zukunft war ist im Nu bereits in der Gegenwart angelangt um einige Momente später bereits wieder Vergangenheit zu sein. Gegenwart ist also immer: Solange man am Leben ist, gibt es ein Jetzt. Vergangenheit wird dabei durch Erinnerung vergegenwärtigt, festgehalten und auf diese Weise vor dem endgültigen Verschwinden bewahrt.

Der Philosoph Rüdiger Safranski hat es in seinem Buch „Zeit“ (2015) so formuliert: „Die Zeit bewirkt, dass wir einen schmalen Streifen von Gegenwärtigkeit bewohnen, nach beiden Seiten umgeben von einem Nicht-Sein: das Nicht-Mehr der Vergangenheit und das Noch-Nicht der Zukunft“. Die Zukunft kommt der Gegenwart entgegen um nach einem kurzen Moment Gegenwärtigkeit selbst zur Vergangenheit zu werden.

Der Mensch ist im Gegensatz zum Tier ein Wesen, das ein Zeitgefühl hat und mit dem Wissen um den eigenen Tod ausgestattet ist. Die menschliche Sorge aus dem Dasein ins Nichts zu fallen ist dabei ebenfalls auf die Zeit gerichtet, auf ein in der Zukunft liegendes Noch-Nicht. Das Unvorhersehbare sorgt den Menschen, der nicht wie die Katze ganz im Augenblick aufgeht, die noch kurz vor ihrem Tod selig schnurrt.

Die Zeit, jene „Furie des Verschwindens“, wird mit zunehmender Lebensdauer als immer schnelllebiger empfunden. Kein Wunder: Time is running out! Was also ist nach diesem Räsonieren über die Zeit vom neuen Jahr zu erwarten? Hoffentlich Gutes! Erich Kästner hat es einmal so formuliert: „Wird's besser? Wird’s schlimmer? fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich!

Das ist von zeitloser Gültigkeit. Und dem ist nichts hinzuzufügen.