Freitag, 25. Oktober 2013

Merkel und der Bumerang


Merkel und der Bumerang
Die Kanzlerin wurde in der NSA-Affäre erst aktiv, nachdem sie selbst abgehört wurde

Der Bumerang ist ein Sportgerät, der bei einem perfekten Wurf mit traumwandlerischer Sicherheit zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt. Seitdem bekannt geworden ist, dass der US-Geheimdienst das Diensthandy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört hat, ist auch die NSA-Abhöraffäre wie ein Bumerang in die internationale Politik zurückgekehrt. Dabei hatte die Bundesregierung die Vorwürfe des früheren Geheimdienstmitarbeiters und Whistleblowers Edward Snowden zuvor wochenlang runtergespielt und verharmlost.

Die im Sommer bekannt gewordene Affäre war aus Sicht der Regierung spätestens mit der Erklärung von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla erledigt. Pofalla hatte nach einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums verkündet, dass alle Abhörvorwürfe „vom Tisch“ seien. Als Geheimdienstkoordinator und engster Mitarbeiter Angela Merkels im Kanzleramt hätte er es vielleicht besser wissen müssen; auch Innenminister Friedrich blies nur wenige Tage später ins selbe Horn und erklärte, dass alle Verdächtigungen ausgeräumt seien. Beide Minister waren vor allem daran interessiert, die leidige Affäre aus dem bevorstehenden Bundestagwahlkampf herauszuhalten.

Die nun wieder ins öffentliche Bewusstsein gelangte Abhörpraxis der NSA erreicht in diesen Tagen einen vorläufigen Höhepunkt, zumal offenbar weitere Staatschefs von Lauschangriffen betroffen sind. Die Abhöraffäre, die historisch ohne Beispiel ist, stellt auch einen Tiefpunkt in der Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen dar. „Geht man so mit einem befreundeten Bündnispartner um?“ war eine zuletzt häufig gestellte Frage. „Natürlich nicht!“ lautet die einhellige Antwort, abhören dürfe man schließlich nur Schurkenstaaten und Kriminelle - nicht aber Bündnispartner und Freunde. Dass ein deutscher Außenminister den Botschafter der USA einbestellt und mit aller Deutlichkeit das Verhalten der US-Geheimdienste maßregelt, kommt auch nicht alle Tage vor.

Zwei Aspekte dieser Affäre scheinen indes von besonderer Bedeutung: Erstens wurde die Bundeskanzlerin mit der Forderung nach Aufklärung der Spähaffäre erst aktiv, nachdem sie selbst Opfer einer Abhöraktion der amerikanischen Geheimdienste geworden war. Angesichts einer flächendeckenden Ausspähung der gesamten Kommunikation in Deutschland interessierten sie die Grundrechte und Datenschutzbelange der Bürger bislang nur am Rande. Der Beschwerdeanruf der Kanzlerin bei US-Präsident Obama war notwendig, weil jede weitere Untätigkeit zu einem massiven Ansehensverlust ihrer Person geführt hätte.

Zweitens wirft die Überwachung von Merkels Diensthandy einen tiefen Schatten auf die amerikanische Sicherheitspolitik, die seit dem 11. September 2001 völlig außer Kontrolle geraten ist. Ein Heer von Geheimdienstmitarbeitern ist seit Verabschiedung des „Patriot Act“ damit beschäftigt weltweit Daten abzugreifen, um diese auf Terrorhinweise auszuwerten. US-Sicherheitsbehörden und Geheimdienste beschädigen damit konsequent die wertvollste Währung die es in der Beziehung zwischen Staaten geben kann: Vertrauen.

Die US-Regierung muss daher alles daran setzen, verlorengegangenes Vertrauen durch Aufklärung und ehrliche Verhaltensänderung zurückzugewinnen. Das mag naiv klingen, ist aber letztlich der einzige Ausweg; ein „business as usual“ kann es beim bisher bekannt gewordenen Ausmaß der Spähaffäre nicht geben. Handelt die US-Administration nicht oder nur halbherzig, ist sie im Begriff, den letzten vorhandenen Rest an Vertrauen zu verspielen und Freunde wie Feinde zu behandeln. Eine solche Auffassung des Politischen würde sich letztlich wie ein Bumerang gegen ihre Urheber selbst richten. 

Samstag, 19. Oktober 2013

Social Media - nein, danke?


Social Media - nein, danke?
Chancen und Risiken der virtuellen Selbstdarstellung im Internet

„Esse est percipi“ - „Sein ist wahrgenommen werden“. Der irische Theologe George Berkeley (1685-1753) hat mit dieser Aussage den Kerngedanken der subjektiv-idealistischen Philosophie formuliert. In einer Zeit, in der vier von fünf Deutschen im World Wide Web unterwegs und Millionen Menschen in sozialen Netzwerken aktiv sind, erhält der Satz durch die Selbstdarstellung im Internet einen tieferen Sinn.

Die Möglichkeiten der Selbstdarstellung im Netz sind uferlos und werden nicht selten als Teil einer strategischen Eigenvermarktung gezielt eingesetzt: Homepages und Blogs, soziale Netzwerke wie Facebook, Google+, Pinterest oder der Kurznachrichtendienst Twitter sind neben Karrierenetzwerken wie Xing oder LinkedIn die gefragtesten Module im Kosmos einer rasch expandierenden Social Media.

Der einstige Internet-Konsument wird dabei immer öfter zum „Ich-Sender“ und Produzenten von Inhalten und ist damit Teil des „Mitmach“-Web 2.0. Die allzu freizügige Selbstdarstellung im Netz ist allerdings fortwährend Gegenstand von Kritik und Vorurteilen: Es wird ein bisweilen voyeuristischer Hang zur medialen Zurschaustellung moniert, der alle Regeln des Datenschutzes sträflich missachtet.

Social Media eröffnen dem Einzelnen die Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu treten, Neuigkeiten auszutauschen sowie mit Freunden und Bekannten in Verbindung zu bleiben. Die Selbstdarstellung ist dabei bis zu einem gewissen Grad unumgänglich, denn wer mit anderen in Beziehung treten will, muss zwangsläufig etwas von sich erzählen; das ist in der Offline-Welt übrigens nicht anders.


Facebook-Auftritt: Arbeit am "Gesamtkunstwerk Ich"?

Die entscheidende Frage lautet daher, wie viel man von sich preisgibt: Der eine lässt sich nicht so gern in die Karten schauen, der andere gewährt tiefe Einblicke bis hin zum Online-Striptease. Jeder versucht sich im besten Licht zu präsentieren. Die Selbstver-
marktung führt oft zur Kreation eines eigenen, digitalen Brandings: Der Online-Auftritt avanciert zu einem Reputationstool für die reale Welt.

Das Netz bietet eine öffentliche Bühne für persönliche Performance und Eigen-PR; Meinungen, Grundeinstellungen und Geschmackspräferenzen werden nur allzu bereitwillig zur Schau gestellt, der digitale Poser ist omnipräsent. Die auf vielen Websites vorhandenen „like“ - und „not like“ - Buttons geraten aus der Perspektive einer permanenten Bewertung zu dem heimlichen, binären Code unserer Zeit.

Im Internet verschwimmen die Grenzen zwischen angemessener Selbstdarstellung und Voyeurismus allerdings häufig und die virtuelle Eigenvermarktung nimmt zuweilen skurrile Züge an. Das unentwegte um-sich-selbst-Kreisen und die beständige Arbeit am „Gesamtkunstwerk Ich“ können zu Narzissmus, Vereinsamung und einer völligen Verstrickung in die modernen Kommunikationsmedien führen.

Social Media - nein, danke? Die Antwort darauf muss kein weltabgewandter Verzicht auf Facebook & Co. sein; vielmehr sollte man einen vernünftigen Umgang mit dem eigenen Online-Verhalten pflegen. Die Chancen und Risiken von Social Media kann dabei jeder nur für sich selbst ausloten. „Sein ist wahrgenommen werden“ -  der Satz von George Berkeley ist durch Internet und Social Media indes aktueller denn je. 

Sonntag, 13. Oktober 2013

Herbstzeit


Herbstzeit
Und schon wieder ist Herbst…der allerdings ist mächtig unbeliebt – zu Unrecht!

Das Wechselspiel der Jahreszeiten hat die Menschen schon immer fasziniert. Nach dem alljährlichen Frühlingserwachen folgt für gewöhnlich der Sommer, der sich bei Jung und Alt größter Beliebtheit erfreut. Irgendwann aber naht der Herbst, der alle Illusionen von immerwährendem Sonnenschein, lauen Temperaturen, freizügiger Bekleidung und ausgelassener Stimmung jäh zunichtemacht.

Als Jahreszeit sitzt der Herbst gewissermaßen zwischen den Stühlen: Er beerbt den Sommer und gleitet allmählich in den Winter über. Der Herbst ist ein notorischer „Alleskaputtmacher“, der Flora und Fauna arg in Mitleidenschaft nimmt und auch die Geduld der Menschen durch allerlei Unbill und fiese Erkältungskrankheiten strapaziert. Der Herbst ist im allgemeinen nicht sonderlich beliebt.

Ich gebe es freimütig zu, ich mag den Herbst. Ich bin „Herbsttyp“. Aber auch als „Herbsttyp“ neige ich nicht zu Masochismus und Realitätsverlust. Ich schätze den pollenfreien Vorherbst - allerdings ohne Nässe, Kälte und Sturm. Ist es nicht herrlich, wenn man sich frühmorgens bei kalter, klarer Luft mit jedem Schritt durch Spinnenfäden und -netze kämpfen muss? Ganz ohne niesen zu müssen!

Der alljährlich wiederkehrende Zauber aus Blättern, die sich allmählich bunt verfärben und hernach abfallen, fasziniert Jahr für Jahr aufs Neue. Die Ursache dafür ist profan-biologisch: die Pfanzensäfte ziehen sich langsam in Stamm und Baumwurzeln zurück; das Blattgrün wird dabei zugunsten anderer Blattfarbstoffe abgebaut, die wiederum für die bunten Blätter verantwortlich sind.

Der herbstlich gestimmte Grugapark in Essen

In dem Maße, indem im Herbst die Tage kürzer und dunkler werden, sinkt bei vielen Zeitgenossen allerdings auch die Laune. Denn bis zum nächsten Frühjahr wird noch viel Zeit verstreichen. Kaum eine Jahreszeit wird so häufig als Metapher für Abschied, Vergänglichkeit und Sterben herangezogen wie der Herbst. Der metaphorische „Herbst des Lebens“, das Alter, ist auch nicht sonderlich beliebt.

Das obligatorische Sturm- und Regenwetter hat den Ruf des Herbstes vollends ruiniert. Dabei ist der Herbst doch auch eine Zeit des Frohsinns und zahlreicher Festtage: Erntedankfest, Oktoberfest, Halloween, Reformationstag, Allerheiligen und St. Martin werden allesamt im Herbst begangen. Miese Stimmung sollte im Herbst angesichts so vieler Festivitäten und Feiertage doch eigentlich kaum aufkommen.

Schlussendlich - die Lyrik: Dichter aller Epochen waren und sind vom Herbst fasziniert. Kaum eine Jahreszeit wurde, wohl wegen der ihr innewohnenden Vergänglichkeit, öfter melancholisch besungen. Es gibt demnach viele gute Gründe den Herbst zu mögen, dazu muss man nicht einmal „Herbsttyp“ sein. Ich erhebe daher mein Glas und stoße auf eine ebenso lange wie milde Herbstzeit an.

Sonntag, 6. Oktober 2013

Das Lächeln der Mona Lisa


Das Lächeln der Mona Lisa
Viele Museumsbesucher sehen die Welt nur noch durch die Sucher ihrer Videokameras

Das geheimnisvolle Lächeln der „Mona Lisa“ und ihr herausfordernder Blick sind legendär. „Mona Lisa“, gemalt vom italienischen Meister Leonardo da Vinci (1452-1519), ist das wohl berühmteste Gemälde der Welt. Es hängt im Pariser Louvre und hat dort einen Ehrenplatz. Tausende Museumsbesucher defilieren täglich an der alten Dame vorbei und viele sind wohl nur ihretwegen gekommen.

Neulich wurde ich im Louvre Zeuge einer fragwürdigen Entwicklung in vielen Museen dieser Welt, welche die Benutzung von Fotoapparaten und Videokameras in ihren Ausstellungsräumen gestatten: Zahlreiche Besucher nehmen die ausgestellte Kunst nicht mehr mit ihren eigenen Augen wahr, sondern „sehen“ die Exponate nur noch durch die Sucher ihrer Videokameras und Smartphones.

Es wird gefilmt, fotografiert und sich vor den Kunstwerken in Szene gesetzt als gäbe es kein Morgen mehr. Auf Bildinhalte wird kaum geachtet, denn der Museumsbesucher degradiert sich freiwillig zu einem passiv beteiligten Kameramann, der sich nicht mehr auf die eigenen Augen und den unmittelbaren, subjektiven Seheindruck verlässt. Die Kunstbetrachtung degeneriert zum inhaltsleeren Event.

Insbesondere Besucher aus dem ostasiatischen Kulturkreis, denen von Haus aus eine hohe Affinität zu Videokameras und Technik zu Eigen ist, verlassen sich ganz darauf, die dargestellte Kunst als Erinnerung für daheim abzufilmen, ohne diese je selbst mit den eigenen Augen betrachtet zu haben. Der weltweite Siegeszug der Smartphones hat die Tendenz zu einer ganz und gar verfilmten Welt noch verstärkt.

Die gläserne Eingangspyramide des Louvre

Dabei ist das menschliche Auge ein Wunderwerk der Evolution: Es lässt uns sehen und alle Schönheit wie Hässlichkeit in den schillerndsten Farben erkennen. Auch große Kunst können wir mit Hilfe unseres Sehsinnes geradezu wörtlich „in Augenschein“ nehmen. Dass dies nicht für alle Besucher gilt, dürfte auch an dem Hang vieler Museen liegen, ständig große Massenevents zu produzieren.

Der Drang, alles abzufilmen, in Echtzeit zu posten und für die Ewigkeit zu sichern, ist mittlerweile weit verbreitet. Bei Rock- und Popkonzerten ist der Blick auf die Bühne angesichts Hunderter in die Höhe gereckter Smarthphones zuweilen komplett verstellt. Viele Konzertbesucher verlassen sich anscheinend nicht mehr auf die Unmittelbarkeit ihrer eigenen, sinnlichen Wahrnehmung: Das Handy muss laufen!

Die Unmittelbarkeit des Augenblicks, das flüchtige Face-to-Face, das bewusste im-Moment-Wahrnehmen gehen dabei verloren. Auf diese Weise entsteht eine konstruierte Wirklichkeit, welche die Welt und die Kunst mit den Augen der Technik neu fabriziert. Dass das ständige Knipsen und Draufhalten viele „analoge“ Besucher stören könnte, kommt den Technikfreaks dabei nicht in den Sinn.

Der „Mona Lisa“ könnte angesichts der Menschenmassen, die einzig und allein zum Abfilmen der Kunst-Ikone in den Pariser Louvre strömen, das eigentümliche Lächeln schon mal vergehen. Aber wer weiß, vielleicht gefällt ihr die große Anteilnahme ja auch. Man unterschätze in diesem Punkt die Eitelkeit der Frauen nicht. Und tatsächlich, sie lächelt ja auch. Noch immer.