Sonntag, 29. September 2013

FDP - die neue APO


FDP - die neue APO
Nach dem Wahldebakel sind die Liberalen Teil der Außerparlamentarischen Opposition

Abstand kann manchmal sehr nützlich sein. Er verschiebt die Perspektive und hilft die Dinge einzuordnen und politisch neu zu bewerten. So auch im Fall der FDP. Ein „Fall“, der dramatischer kaum hätte ausfallen können. Eine Woche nachdem die Liberalen aus dem Bundestag geflogen sind erscheint das Wahldebakel mehr denn je als eine tiefe historische Zäsur für den Liberalismus in Deutschland.

Das Ausscheiden der Liberalen aus dem Parlament erscheint für die Demokratie umso gravierender wenn man berücksichtigt, dass die Partei seit 1949 ununterbrochen dem Deutschen Bundestag angehörte. Die FDP hat in wechselnden Koalitionen 46 Jahre lang regiert - sie war damit insgesamt zwei Jahre länger an der Macht als die Unionsparteien und damit im besten Sinne „Staatspartei“.

Die Liberalen trugen insbesondere in der Gründungsphase der Republik zu deren Stabilisierung bei. Aus ihren Reihen gingen immer wieder große Persönlichkeiten hervor: Thomas Dehler, Karl-Hermann Flach, Hans-Dietrich Genscher, Burkhard Hirsch oder Hildegard Hamm-Brücher. Mit Theodor Heuss und Walter Scheel stellte die FDP zwei über alle Parteigrenzen hinweg respektierte Bundespräsidenten.

Die FDP war in den letzten Jahrzehnten aber auch die Partei der Möllemanns, Westerwelles, Röslers, Niebels und Brüderles. Kurzum: Sie war eine Partei, deren politisches Personal nicht einmal annähernd die Qualität ihrer liberalen Altvorderen erreichte. Und sie war zuletzt vor allem eine Funktions- und Klientelpartei, deren programmatische Fragmente die Wähler nicht mehr überzeugten.

Schon früher ist, auch in diesem Blog, über das Ende des politisch organisierten Liberalismus in Deutschland spekuliert worden. (Siehe Link) Dass die FDP nun tatsächlich erstmals nicht im Deutschen Bundestag vertreten ist und sich auf Augenhöhe befindet mit so kuriosen politischen Gruppierungen wie der Rentnerpartei, der Hundepartei oder den Violetten ist dabei hoch verdient.
Die Liberalen sind als politische Kraft fortan in die Außerparlamentarische Opposition verbannt. Die historische APO trat Mitte der 1960er Jahre auf den Plan als Deutschland erstmals von einer Großen Koalition regiert wurde. Die APO war der Grundstein der 68er-Bewegung: Sie trat für eine Demokratisierung der Hochschulen ein und demonstrierte gegen die Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg.

Damals war ausgerechnet die kleine FDP die einzige Oppositionspartei im Bundestag. Die APO war das Sprachrohr all jener, die keine politische Heimat im Dreiparteiensystem der Republik fanden. Heute, über 45 Jahre später, hat sich nicht nur das Parteiensystem durch die Gründung von Grünen und Linken stark verändert. Heute ist die FDP die neue APO der Berliner Republik.

Immerhin, es gibt Hoffnung: Auch die westdeutschen Grünen scheiterten 1990 bei der ersten Wahl zum gesamtdeutschen Bundestag an der Fünfprozenthürde, da sie keine hinreichende Antwort auf die veränderte Lage der Wiedervereinigung hatten. Sie waren damals lediglich durch 8 Abgeordnete des Bündnis 90 im Parlament vertreten. Vier Jahr später gelang den Grünen dann mit 7 Prozent ein Comeback.

„Allem Anfang wohnt ein Zauber inne“ heißt es im Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse. Der Neuanfang in der APO ist für die FDP Chance und Risiko zugleich. Die Neuausrichtung der Liberalen kann über die Länderparlamente gelingen. Für den designierten Parteichef Christian Lindner könnte sich der vermeintliche Zauber eines politischen Neuanfangs jedoch schnell als fauler Zauber erweisen.

Denn der außerparlamentarische Alptraum ist für die FDP zunächst vier Jahre lang bittere Realität.

Samstag, 21. September 2013

Ein Hoch auf die Hürde!


Ein Hoch auf die Hürde!
Warum die Fünfprozenthürde gut für die Demokratie ist

Regelmäßig vor Wahlen haben kleine Parteien ein Problem. Ein Ungetüm namens „Fünfprozenthürde“ stellt sich ihnen scheinbar unüberwindlich in den Weg und verhindert nicht selten den Einzug in Bundestag, Landtage oder Kommunalparlamente. Und regelmäßig vor Wahlen werden Stimmen laut, welche die Fünfprozentklausel am liebsten restlos abschaffen würden.

Ein Hauptargument für die Kritik an der Sperrklausel ist, dass sie den Wählerwillen verfälscht und gegen das Gleichheitsgebot verstößt. Denn eine Stimme für eine Partei, die z.B. nur drei Prozent erreicht, ist letztlich eine „verlorene“ Stimme, da sie bei der Vergabe der Parlamentssitze nicht berücksichtigt wird. Ein weiterer Einwand lautet, dass die Fünfprozenthürde das taktische Wahlverhalten befördert. 

Im aktuellen Bundestagswahlkampf ist gut zu beobachten, wie die FDP das Funktionsargument quasi zum Überlebensprinzip erkoren hat: „Wer Merkel will, muss FDP wählen“ heißt es. Die Partei, die aufgrund ihres jämmerlichen Personals und zahlreicher, gebrochener Wahlversprechen (Steuern) um den Wiedereinzug in den Bundestag fürchten muss, hat sich auf Gedeih und Verderb an die Union gekettet.

Nach der verlorenen Bayern-Wahl versucht sich die FDP einmal mehr als Schnorrer: „Haste mal nen Euro?“ lautet ein vertrautes Bettelgesuch in einer x-beliebigen Fußgängerzone. „Haste mal ne Zweitstimme?“ ist das Credo der FDP in diesen Tagen. Mit Hilfe von Leihstimmen aus dem bürgerlichen Lager versuchen die Liberalen die Fünfprozenthürde zu überwinden. Sie dürften Erfolg damit haben.

Dabei sind die Liberalen nicht die einzigen, die an der Fünfprozentklausel zu knacken haben. Die euroskeptische Alternative für Deutschland (AfD) und die Piraten werden mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Sperrklausel scheitern. Die Gründe, die für die Beibehaltung der 1953 eingeführten Hürde sprechen, ergeben sich aus den Erfahrungen der Weimarer Republik, als gleichzeitig bis zu 17 Parteien im Reichstag saßen.

Die parteipolitische Zersplitterung trug damals zur Unregierbarkeit des Parlamentes bei; politische Mehrheiten waren immer schwieriger zu organisieren, Koalitionen chronisch instabil. Am Ende des kakophonischen „Parteiengezänks“ stand eine negative absolute Mehrheit aus Kommunisten und Nazis. Mit der Errichtung des NS-Staates wurden Demokratie und Rechtsstaat dann vollends abgeschafft.

Die Fünfprozenthürde ist eine Errungenschaft der Demokratie. Sie ist nach wie vor notwendig, damit das Parlament arbeits- und funktionsfähig bleibt. Sie hat dazu beigetragen, dass radikale und demokratiefeindliche Parteien nur in Ausnahmefällen in die Parlamente eingezogen sind. Die Fünfprozenthürde ist eine wichtige und pragmatische Sicherung, die sich historisch bewährt. Fazit: Ein Hoch auf die Hürde!

Dienstag, 17. September 2013

Wünsch dir was!


Wünsch dir was!
Wahlplakate als Spiegelbilder des Wahlkampfes: Nichts als heiße Luft

Momentan gibt es hier wie dort eine ganz besondere Spezies der Stadtteilverschönerung zu besichtigen: Wahlplakate. Wahlplakate aller Parteien sorgen in diesem Spätsommer dafür, dass sich Verkehrsschilder, Laternenmasten und Stromkästen nicht mehr so einsam fühlen. Der Wahlkampf läuft gerade auf Hochtouren und die Wahlwerbung der Parteien wertet allüberall das Stadtbild auf.

Knapp eine Woche vor der Bundestagswahl habe ich mir im Essener Norden einmal die Wahlplakate der wichtigsten Parteien angesehen. Die Auswahl der Motive erfolgte rein zufällig und ist daher keineswegs repräsentativ. Trotzdem können durch die unter-schiedlichen Plakattypen Rückschlüsse auf die Wahlkampfstrategie und das Werbegebaren der einzelnen Parteien gezogen werden. Aber sehen Sie selbst:

CDU: „Gemeinsam erfolgreich“
Dieses Motiv mit der allseits beliebten Kanzlerin spiegelt die Gute-Laune-Wirtschafswunderrhetorik der Union treffend wider: Ohne erkennbare inhaltliche Aussage werden einfach alle umarmt, umgarnt, eingelullt und zu Siegern erklärt. Das funktioniert immer und kostet nix, denn wer wäre nicht auch gern Teil einer dauer-euphorisierten Erfolgstruppe, die „gemeinsam erfolgreich“ ist? Herrlich nichtssagend.



SPD: „Gleiche Bildungschancen für alle“
Warum nicht gleich „Freibier für alle!“ Aber gut, immerhin deutet die Rhetorik der Sozialdemokraten mit diesem Slogan auf ein zentrales Wahlkampfziel der SPD hin: Chancengleichheit. Weiteren, dürftigen Allgemeinplätzen der Kategorie „Im Alter nicht leer ausgehen“ oder „Zeit für Kinder und Beruf“, die von der SPD plakatiert werden, könnte wohl jeder irgendwie zustimmen. Fazit: Alles andere als inspirierend.



Grüne: „Ich werd mal Energie-Riese. Und Du?“
Oh je, was soll das denn? Die Grünen setzen offenbar ganz auf die Anziehungskraft kindlicher Werbeträger. Das gelingt allerdings kaum, zu platt kommen die kindischen Botschaften daher. Die grüne Position zu den einzelnen Motiven lässt sich immerhin erahnen. Weitere Kostproben dieser Art: „Meine Mudda wird Chef“ oder „Ich sag: Hello Kita“. Geht’s noch banaler? Wann kommt der grüne Baby-Babbel-Sprech auf die Plakate?



Die Linke: „Statt Flaschen sammeln: 1050 Euro Mindestrente!“
Die Linke scheint ganz in den radikaloppositionellen „Wünsch-Dir-was-Kosmos“ abgedriftet; rational sind ihre weltfernen Slogans jedenfalls kaum zu erklären. Immerhin sind die Parolen auf ihren Plakaten ziemlich konkret: „Waffenexporte verbieten! Auslandseinsätze beenden!“ oder „Teilen macht Spaß: Millionär-Steuer!“ Höher, schneller und weiter nannte man das früher beim Sport. In der Disziplin des agitativen Populismus ist die Linke derzeit konkurrenzlos.   



Piraten: „Warum häng ich hier eigentlich? Ihr geht ja eh nicht wählen.“
Versuchen die Piraten hier etwa das namenlose Heer der Nichtwähler für sich zu gewinnen? Leider erfährt man auf diesem Motiv auch nicht, warum man nun ausgerechnet die Piraten wählen soll. Immerhin deuten farbenfrohes Design und eine gelegentliche Prise Humor auf eine gute Agentur hin: „Unrealistische Wahlversprechen? Können wir auch! Für einen Wombat in jedem Haushalt!“ Ganz unterhaltsam.



Ach ja, eine Partei fehlt natürlich noch, die FDP. Die Liberalen kommen im Essener Norden nur leider gar nicht vor: sie waren mit keinem Plakat anzutreffen. Offenbar spart man sich in einem traditionell eher „roten“ Stadtteil den ohnehin erfolglosen Einsatz. Oder sollte dies gar als düsteres Menetekel für ein restloses Verschwinden der Partei auf Bundesebene gedeutet werden können? Man wird sehen.

Fazit: Die meisten Wahlplakate erreichen ein erschütternd banales Niveau. Wunschdenken, Plattitüden, Populismus und unrealistische Wahlversprechen sind bei fast allen Parteien anzutreffen. Nur vereinzelt blitzen echte Wahlkampfaussagen auf. Zugegeben, es ist natürlich nicht ganz einfach, zentrale Inhalte in prägnanter und zugleich intelligenter Form auf Plakate zu bannen. Dennoch hätte ein klein wenig mehr Niveau allen Parteien gut zu Gesicht gestanden.  

Montag, 9. September 2013

An Tagen wie diesen


An Tagen wie diesen
12 Jahre nach 9/11: Über die Bedeutung persönlicher Erinnerungen an besonderen Tagen

Es gibt sie, diese Tage, an die man sich auch nach Jahrzehnten noch genau zu erinnern vermag. Weil an diesen Tagen Geschichte geschrieben wurde. Und weil sich persönliches Leben und Erleben eng und unauflöslich mit der politischen Historie verknüpft hat. An diesen Tagen sind Ereignisse von weltpolitischer Relevanz geschehen:  Die Ermordung John F. Kennedys, die Mondlandung, der Mauerfall oder auch der 11. September 2001.

Ein jeder, der eine Antenne für außergewöhnliche historische Situationen besitzt, erinnert sich nicht selten bis in die kleinsten Details, was er an diesem einen Tag gemacht und in welcher Lebenssituation er sich gerade befunden hat. An die Menschen die er an diesem Tag traf und die vielleicht schon längst gestorben sind; an die Dinge, die er erledigt hat.  Nicht selten erinnert man sich selbst an belanglose Kleinigkeiten.

Tage mit herausragender Bedeutung haben sich uns offenkundig tief eingeprägt und sind auch nach Jahrzehnten immer noch präsent und abrufbar. Warum? Weil wir uns wieder und wieder an sie erinnern. Das permanente Memento vollzieht sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Erinnerungskultur, die mithilfe der Anlassgeschichtsschreibung besondere Tage in Fernsehen, Rundfunk und Presse unaufhörlich ins Gedächtnis ruft.

Weil es sich um einen außergewöhnlichen Tag handelt, dessen Bedeutung grell aus dem Alltags-Einerlei hervorstrahlt, ist ein solcher Tag fortan mit einer profunden persönlichen Reminiszenz verbunden, die wir nie wieder abstreifen können. Diese außergewöhnlichen Ereignisse geben, ob wir wollen oder nicht, unserem Leben nicht selten eine innere Struktur mit auf den Weg und sind fester Bestandteil der eigenen, subjektiven Lebenserzählung.

Eine dieser besonderen Erinnerungen stellt auch für mich der 11. September 2001 dar. Seltsamerweise machte ich an diesem Dienstag, der ein gewöhnlicher Uni-Tag war, ganz gegen meine Gewohnheit bereits am Nachmittag den Fernseher an und wurde daraufhin in Echtzeit Zeuge des Einsturzes der Twin Towers in New York. Ich weiß noch genau, wie schockiert ich in dem Moment war und was ich alles tat, mit wem ich telefonierte und diskutierte, um die dramatischen Ereignisse zu besprechen und zu verarbeiten.

Jede Lebensgeschichte ist eine persönliche Geschichte. Sie findet immer dann Anknüpfungspunkte an die große, politische Geschichte, wenn besondere Tage uns kurz innehalten lassen, an denen, pathetisch gewendet, der Weltgeist aufblitzt. Die Zeitläufte schreiten unbeirrt voran; sie bilden die Folie für unser persönliches Leben und markieren durch die Zeitzeugenschaft besonderer Tage die Wegmarken und Wendepunkte unserer Existenz.