Das letzte Tabu
Der Fall Hitzlsperger:
Sollten sich aktive Fußballprofis derzeit
outen?
Nachdem
der frühere Fußballprofi und 52-fache Nationalspieler Thomas Hitzlsperger in dieser Woche überraschend erklärt hatte dass er
homosexuell ist, war in der Öffentlichkeit ein breites Maß an Zustimmung,
Respekt und positiven Reaktionen zu vernehmen. Frühere Mannschaftskollegen wie
Lukas Podolski und Arne Friedrich, aber auch Politiker und Verbandsfunktionäre
zollten Hitzlsperger ihre Anerkennung.
Beifall
für sein Coming Out erhielt Hitzlsperger selbst vom britischen Premierminister
David Cameron, der als großer Fan von Aston Villa gilt. Der deutsche
Nationalspieler hatte für den Verein aus Birmingham fünf Jahre lang gespielt
und dabei in 99 Spielen 8 Tore erzielt. Aus dieser Zeit stammt auch sein
Beiname „Hitz, the Hammer“, den er aufgrund seines hammerharten Schusses
erhielt.
Alles
in Butter also? Mitnichten. Dass sich mit Hitzlsperger erstmals ein prominenter
Nationalspieler als schwul outet ist sicherlich bemerkenswert. Durch seine Prominenz
und sein Ansehen kann der Ex-Profi dazu beitragen, Homophobie und
Schwulenfeindlichkeit abzubauen. Die Betonung liegt allerdings auf „Ex-Profi“:
Hitzlsperger traute sich erst heraus, nachdem er seine aktive Karriere beendet
hatte.
Der
ebenso intelligente wie reflektierte Fußballprofi Thomas Hitzlsperger wusste wohl
nur zu gut warum. Zwar gibt es seit einiger Zeit neben den obligatorischen
Sonntagsreden ernst gemeinte Bestrebungen des Deutschen Fußball Bundes (DFB)
aktiv gegen Homophobie und Rassismus in den Stadien vorzugehen. Die Folgen
eines öffentlichen Outings hätte ein Spieler aber zunächst allein zu tragen.
Der
Volkssport Fußball hat in manchen Regionen die gesellschaftliche Bedeutung eines
Religionsersatzes. Das Stadion ist dabei auch für weniger aufgeklärte und
gebildete Menschen eine der letzten Bastionen, in denen Aggressionen, Rassismus
und Homophobie mehr oder weniger ungestraft ausgelebt werden dürfen. Fußball
ist zu guter Letzt das letzte Refugium einer beinhart gelebten Machokultur.
Schwule Fußballprofis: Das letzte Tabu |
Der
körperbetonte Kampfsport lässt daher keinerlei Raum für vermeintliche „Schwächen“,
die vielfach unreflektiert mit Homosexualität gleichsetzt werden. Fußballer,
die zwar nicht schwul sind, aber dezidiert „weiche“ oder einfach nur
intelligente Charakterzüge aufweisen, wie z. B. Andreas Möller, Marko Marin
oder Philipp Lahm, müssen seit Jahren mit der Unterstellung leben, schwul zu
sein.
Würde
sich ein aktiver Fußballspieler derzeit outen, wäre das Verhalten der Fans unkalkulierbar.
Die Schmähung von Gegner und Schiedsrichter gehört für viele Fans genauso zum
Stadionbesuch wie Bratwurst und Bierchen. Auf den Rängen wird nur zu oft auf
die vermeintlichen Schwachstellen des Rivalen gewartet. Ebenso in der Kabine: Fußballteams
sind Männerbünde mit einem hohen internen Konkurrenzdruck.
Einer
der versiertesten Kenner der deutschen Fußball-Szene, der Präsident der
Deutschen Fußball Liga (DFL), Reinhard Rauball, fand den Schritt Hitzlspergers
einerseits mutig, formulierte andererseits aber auch ernsthafte Bedenken: "Mit
Blick auf die enorme Öffentlichkeit im Profifußball wären die Reaktionen im
Falle des Outings eines aktiven Profis jedoch weiterhin nur schwer
kalkulierbar."
Die
Maximalschmähung auf deutschen Schulhöfen besteht derzeit in dem Attribut
„schwul“; der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, erhält nahezu
täglich beleidigende Zuschriften, die seine Homosexualität thematisieren. Dies
beweist: Homophobie ist kein Problem des Fußballs allein, sondern ein weitverbreitetes
Phänomen. Gerade im Profifußball ist Schwulsein aber immer noch ein großes Tabu.
Nach dem Coming Out eines aktiven Fußballprofis wäre er seine ganze Karriere
hindurch nur noch „der Schwule“. Er würde stets durch eine „rosa Brille“ betrachtet werden; der vermeintlich „schwule Pass“ könnte aus dieser Perspektive eine ganz neue Bedeutung erhalten. Nicht zuletzt deshalb ist das Outing eines
aktiven Spielers im Moment nur schwer vorstellbar. Bleibt zu hoffen, dass
die Zeit dafür bald reif ist.
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