Samstag, 11. Januar 2014

Das letzte Tabu

Das letzte Tabu
Der Fall Hitzlsperger: Sollten sich aktive Fußballprofis derzeit outen?

Nachdem der frühere Fußballprofi und 52-fache Nationalspieler Thomas Hitzlsperger in dieser Woche überraschend erklärt hatte dass er homosexuell ist, war in der Öffentlichkeit ein breites Maß an Zustimmung, Respekt und positiven Reaktionen zu vernehmen. Frühere Mannschaftskollegen wie Lukas Podolski und Arne Friedrich, aber auch Politiker und Verbandsfunktionäre zollten Hitzlsperger ihre Anerkennung.

Beifall für sein Coming Out erhielt Hitzlsperger selbst vom britischen Premierminister David Cameron, der als großer Fan von Aston Villa gilt. Der deutsche Nationalspieler hatte für den Verein aus Birmingham fünf Jahre lang gespielt und dabei in 99 Spielen 8 Tore erzielt. Aus dieser Zeit stammt auch sein Beiname „Hitz, the Hammer“, den er aufgrund seines hammerharten Schusses erhielt.  

Alles in Butter also? Mitnichten. Dass sich mit Hitzlsperger erstmals ein prominenter Nationalspieler als schwul outet ist sicherlich bemerkenswert. Durch seine Prominenz und sein Ansehen kann der Ex-Profi dazu beitragen, Homophobie und Schwulenfeindlichkeit abzubauen. Die Betonung liegt allerdings auf „Ex-Profi“: Hitzlsperger traute sich erst heraus, nachdem er seine aktive Karriere beendet hatte.

Der ebenso intelligente wie reflektierte Fußballprofi Thomas Hitzlsperger wusste wohl nur zu gut warum. Zwar gibt es seit einiger Zeit neben den obligatorischen Sonntagsreden ernst gemeinte Bestrebungen des Deutschen Fußball Bundes (DFB) aktiv gegen Homophobie und Rassismus in den Stadien vorzugehen. Die Folgen eines öffentlichen Outings hätte ein Spieler aber zunächst allein zu tragen.

Der Volkssport Fußball hat in manchen Regionen die gesellschaftliche Bedeutung eines Religionsersatzes. Das Stadion ist dabei auch für weniger aufgeklärte und gebildete Menschen eine der letzten Bastionen, in denen Aggressionen, Rassismus und Homophobie mehr oder weniger ungestraft ausgelebt werden dürfen. Fußball ist zu guter Letzt das letzte Refugium einer beinhart gelebten Machokultur.

Schwule Fußballprofis: Das letzte Tabu

Der körperbetonte Kampfsport lässt daher keinerlei Raum für vermeintliche „Schwächen“, die vielfach unreflektiert mit Homosexualität gleichsetzt werden. Fußballer, die zwar nicht schwul sind, aber dezidiert „weiche“ oder einfach nur intelligente Charakterzüge aufweisen, wie z. B. Andreas Möller, Marko Marin oder Philipp Lahm, müssen seit Jahren mit der Unterstellung leben, schwul zu sein.

Würde sich ein aktiver Fußballspieler derzeit outen, wäre das Verhalten der Fans unkalkulierbar. Die Schmähung von Gegner und Schiedsrichter gehört für viele Fans genauso zum Stadionbesuch wie Bratwurst und Bierchen. Auf den Rängen wird nur zu oft auf die vermeintlichen Schwachstellen des Rivalen gewartet. Ebenso in der Kabine: Fußballteams sind Männerbünde mit einem hohen internen Konkurrenzdruck. 

Einer der versiertesten Kenner der deutschen Fußball-Szene, der Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL), Reinhard Rauball, fand den Schritt Hitzlspergers einerseits mutig, formulierte andererseits aber auch ernsthafte Bedenken: "Mit Blick auf die enorme Öffentlichkeit im Profifußball wären die Reaktionen im Falle des Outings eines aktiven Profis jedoch weiterhin nur schwer kalkulierbar."

Die Maximalschmähung auf deutschen Schulhöfen besteht derzeit in dem Attribut „schwul“; der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, erhält nahezu täglich beleidigende Zuschriften, die seine Homosexualität thematisieren. Dies beweist: Homophobie ist kein Problem des Fußballs allein, sondern ein weitverbreitetes
Phänomen. Gerade im Profifußball ist Schwulsein aber immer noch ein großes Tabu.

Nach dem Coming Out eines aktiven Fußballprofis wäre er seine ganze Karriere hindurch nur noch „der Schwule“. Er würde stets durch eine „rosa Brille“ betrachtet  werden; der vermeintlich „schwule Pass“ könnte aus dieser Perspektive eine ganz neue Bedeutung erhalten. Nicht zuletzt deshalb ist das Outing eines aktiven Spielers im Moment nur schwer vorstellbar. Bleibt zu hoffen, dass die Zeit dafür bald reif ist. 

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