Sonntag, 23. März 2014

Schrei, wenn du kannst!

Schrei, wenn du kannst!
Die Temperamentenlehre nach Hippokrates ist veraltet - und doch brandaktuell

Menschen, die Zeuge eines cholerischen Wutausbruchs eines Mitmenschen werden, sehen sich unverhofft mit einer Ausnahmesituation konfrontiert, die in ihrer offenen Abkehr von allen Regeln des zivilisierten Miteinanders einen Blick in das animalische Verhalten des Urmenschen gestattet. Für diese atavistische und frei Haus gelieferte Geste sollte man eigentlich dankbar sein.

Nun ist der Choleriker ja nur eine Wesensart unter vielen, wenn auch aufgrund seiner Rüpelhaftigkeit eine eher unbeliebte. Spontan kam mir wieder das Persönlichkeitsmodell des Hippokrates in den Sinn. Hippokrates gilt als der berühmteste Arzt des Altertums; den nach ihm benannten Eid, eine Art ethische Richtschnur für Ärzte, haben Mediziner auf aller Welt jahrhundertelang abgeleistet.

Die Temperamentenlehre des Hippokrates (460-370 v. Chr.) kennt neben dem reizbaren und aufbrausenden Choleriker auch den weltabgewandten, ruhigen Phlegmatiker, den lebensbejahenden, fröhlichen Sanguiniker und schließlich den schwermütig-grüblerischen Melancholiker. Diese Typologie der Charakterarten lässt sich auch vortrefflich auf die Elemente und die Jahreszeiten übertragen.

Demnach wird der Choleriker mit Feuer und Sommer assoziiert, der Phlegmatiker mit Wasser und Winter, der Sanguiniker mit Luft und Frühjahr und der Melancholiker wird mit Erde und Herbst in Verbindung gebracht. Natürlich sind menschliche Charakter-eigenschaften komplexer und ausdifferenzierter als es das mittlerweile überholte Wesensprinzip nach Hippokrates suggeriert.

Die Temperamentenlehre mag daher wissenschaftlich kaum haltbar sein; sie bietet jedoch eine grobe und praktikable Klassifizierung typisch menschlicher Charakterweisen. Dass sich diese über die Jahrtausende anscheinend kaum verändert haben ist bemerkenswert. Für diese Erkenntnis sollten wir Hippokrates dankbar sein. Und wir sollten uns freuen, wenn wir auf einen Choleriker treffen.

Dem rufen wir sodann wie in dem bekannten Werbespot zu: Schrei, wenn du kannst!

Sonntag, 9. März 2014

Der neue Tugendterror

Der neue Tugendterror
Schockfotos auf Zigarettenpackungen sollen die Menschen vom Rauchen abhalten

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich war immer für den Schutz von Nichtrauchern in der Öffentlichkeit. Nachdem die meisten Bundesländer Rauchverbote in Behörden, Schulen, Gaststätten und am Arbeitsplatz erlassen haben, sind Nichtraucher hierzulande hinreichend vor dem blauen Dunst geschützt. Doch die EU-Gesundheitsbürokratie schläft nicht und bereitet schon den nächsten Schlag vor.

Schon bei der Ausweisung von speziellen Raucherzonen auf den zumeist zugigen Bahnhofsgleisen wurde ich stutzig. Raucher tummeln sich dort weitab vom nichtrauchendem Rest in mitunter winzigen Raucher-Karrees, um ihrer Sucht nachzugehen. Das fand ich einerseits albern, andererseits erniedrigend. Zigarettenrauch auf offenen Bahngleisen sollte doch eigentlich niemanden stören.

Doch darum geht es längst nicht mehr. Es geht um die Raucher selbst und um deren Umerziehung. Das EU-Parlament hat dazu kürzlich neue Maßnahmen beschlossen: Ab 2016 sollen Schockfotos von Raucherlungen, schwarzen Zähnen oder verfaulten Füßen den Großteil einer Zigarettenpackung zieren. Besonders jugendliche Raucher sollen dadurch vom Griff zur Kippe abgehalten werden, hieß es aus Brüssel.  

Gesundheitsschäden durch Rauchen und Passivrauchen werden heute von niemandem mehr in Frage gestellt. Allerdings kann auch der übermäßige Genuss von Alkohol zu Krankheit, Sucht und vorzeitigem Tod führen. Und selbst das Autofahren, immer noch die verbreitetste Art der Fortbewegung, führt Jahr für Jahr im EU-Raum zu rund 30.000 Toten und Hunderttausenden Verletzten.

"Go West": Die harmlose Variante, noch ohne Schockbilder

Niemand käme aber auf die Idee, den Alkohol gesellschaftlich zu ächten oder das Autofahren zu verbieten. Warum also nun der neuerliche Feldzug gegen das Rauchen? Reicht die bisherige Stigmatisierung des Rauchens nicht schon aus? Und was folgt als nächstes? Spezielle „Verrichtungsboxen“ für Raucher sind auf internationalen Flughäfen längst Standard, werden diese bald auf Bahnhöfen aufgestellt?

Das Rauchen galt einmal als der Inbegriff der individuellen Freiheit, was nicht zuletzt in zahlreichen, mittlerweile verbotenen Werbespots suggeriert wurde. Ein Kernsatz der bürgerlichen Freiheiten besagt, dass ein jeder tun und lassen kann was er will - sofern er dabei einem anderen keinen Schaden zufügt. Nun aber sollen die Raucher ganz offenkundig vor ihrer eigenen Unvernunft geschützt werden.

An die Stelle von Aufklärung rückt die Bevormundung: ist die Verteufelung von Tabak der erste Schritt in eine gängelnde Gesundheitsdiktatur? Droht uns ein neuer Tugendterror, der zuerst das Rauchen und dann das Trinken unter Strafe stellt? Konsequenterweise müsste Brüssel die Kotflügel von Autos oder die Etiketten von Weinflaschen mit drastischen Fotos von Unfalltoten und Schnapsleichen bedrucken.

In Preußen galt das Rauchen einmal als Inbegriff höchster Geselligkeit. Was hätte wohl Friedrich Wilhelm I., der „Soldatenkönig“, zu alledem gesagt? In seinem legendären „Tabakskollegium“ wurde bei Bier und Tabak über Politik und Religion räsoniert. Wahrscheinlich hätte Friedrich erkannt, dass die EU das Rad überdreht hat, denn Schocktotos werden wohl kaum jemanden ernsthaft vom Rauchen abhalten.

Sie können allerdings eine neue Spirale staatlich verordneter Gesundheitsfürsorge vom Zaun brechen, die außer der EU wohl niemand wirklich will.