Sonntag, 30. Juni 2013

Die kuratierte Welt


Die kuratierte Welt
Jedermann wird derzeit zum Kurator - Ein Berufsbild macht Karriere

Ein Kurator ist ein gediegener Museumsmensch: Er betreut Sammlungen und realisiert Ausstellungen. Das Wort „Kurator“ stammt vom lateinischen curare ab, was so viel wie sich kümmern bedeutet - und genau das tut ein Kurator. Die Arbeit eines Kurators in einem Museum lässt sich daher am besten mit einer dreigliedrigen Tätigkeitsbeschreibung erschließen: Recherchieren, Auswählen, Präsentieren.

„Die Zeit“ erklärte den Kurator jüngst zu „einer der wichtigsten Figuren der Gegenwart“, denn ihm obliegt eine Siebfunktion: Aus dem Ozean eines uferlosen Angebots an Informationen, Objekten und Darstellungsformen filtert er das Wesentliche und Zeigenswerte heraus. So kümmert er sich als eine Art „Geschmacksverstärker“ um das, was er anderen näherbringen möchte.

Seit einiger Zeit ist allerdings ein Trend zu beobachten, nachdem sich beinah jedermann zum Kurator erklärt: Designer, Parfümeure, Ladenbesitzer und selbst DJs „kuratieren“ ihre Kollektionen, Düfte, Kleiderarrangements und Playlists. Was in den 90er Jahren mit der DJ Culture als dem Inbegriff der Moderne begann, findet in der Gegenwart ihre Vollendung in der „Curation Nation“: Everybody is a curator!

Und es stimmt ja: Die meisten von uns stellen individuelle Musiklisten zusammen, liken Veranstaltungen und Produkte und posten Interessantes oder Banales in den sozialen Netzwerken. All dies dient dem individuellen Ausdruck der eigenen Geschmackspräferenz und weist unseren Followern einen vorselektierten Weg durch das Dickicht einer zunehmend unübersichtlich gewordenen, digitalen Welt.

Durch die Okkupation des Begriffes „kuratieren“ in eigentlich branchenfremde Bereiche wie Mode oder Musik machen sich die „Kuratoren“ gleich ein bisschen größer - indem sie auf ihren vermeintlichen Geschmack verweisen und das seriös-wissenschaftliche Prozedere der Museumsarbeit imitieren. Hier wie dort hat der Kurator in jedem Fall das letzte Wort über das, was gezeigt wird und was nicht.

„Kurator“ ist insoweit nichts anderes als ein trendiges Label und „kuratieren“ eine Chiffre für Selektion und Präsentation. Der Kurator als gut vernetzter globaler Nomade, der Kontakte in alle Welt pflegt und ständig an neuen Projekten strickt, scheint indes der neue Traumberuf aller Hipster zu sein. Allerdings sind die Bedingungen nicht überall glorreich und so mancher Kurator lebt von Nebenjobs.

Der Medientheoretiker Neil Postman beklagte in den 80er Jahren in seinem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ die zunehmende Infantilisierung des TV-Programms. In Anlehnung an Postmans populäre These könnte es mit Blick auf das Thema heißen: „Wir kuratieren uns zu Tode“. Denn wenn alles und jedes „kuratiert“ wird, erschöpft sich der Begriff letztlich in inhaltsleerer Beliebigkeit: von curare keine Spur mehr.

Herzlich Willkommen in der „kuratierten Welt“!

Montag, 24. Juni 2013

Neue Besen kehren gut!


Neue Besen kehren gut!
Besenreiser - unterschätzte Volksseuche oder harmlose Venenschwäche?

Einen Besen kennt jedes Kind. Woran aber denken Sie, wenn Sie das Wort „Besenreiser“ hören? Ich gebe zu, ich kannte diesen Begriff bis vor Kurzem noch nicht. Erst die „Nachhilfe“ des ZDF-Werbefernsehens konfrontierte mich mit Besenreisern bzw. einer Salbe dagegen; der Spot war nicht gerade ein Highlight, hat mich aber immerhin dazu veranlasst, einmal über Besenreiser nachzudenken.

Meine ersten Assoziationen bei dem Begriff hatten jedenfalls nichts mit einem wie auch immer gearteten, medizinischen Problem zu tun. Bei dem Wort Besenreiser kamen mir spontan Herbstlaub, Kehrichtschaufel, Baumarkt oder Gartenpflege in den Sinn. Vielleicht dachte ich noch an den längst verblichenen Sänger Rio Reiser. Doch weit gefehlt, mit all dem haben Besenreiser mal so gar nichts gemein.

Bei Besenreisern handelt es sich vielmehr um eine verbreitete Venenschwäche. Für Mediziner sind Besenreiser eine spezielle Unterform der Varikose: In der Oberhaut liegende, sichtbare Venen bilden dabei ein bläulich-rotes Geäst aus Blutgefäßen, die oft fächerförmig verlaufen. Bei manch bedauerlichem Zeitgenossen weisen die Besenreiser dabei eine gewisse Ähnlichkeit mit der Netzkarte der Londoner Tube auf.  

Das feingesponnene Geflecht dieser unschönen Äderchen besiedelt dabei vorwiegend Beine, Waden und Fußknöchel, seltener ist auch das Gesicht befallen. Besenreiser sind eine erblich bedingte Bindegewebsschwäche unter der überwiegend Frauen leiden. Studien haben allerdings ergeben, dass rund 80 Prozent aller Erwachsenen von Besenreisern betroffen sind!


                                                      Volksseuche Besenreiser?


Besenreiser - eine unterschätzte Volkskrankheit? Geschwind unterziehe ich bei diesen Zahlen auch den eigenen, zur Hypochondrie neigenden Körper einer gründlichen Untersuchung - und werde mit Erschrecken fündig! Auch ich bin, an den Fußknöcheln, betroffen. Herrjeh! Umgehend recherchiere ich die Telefonnummer eines in der Nähe ansässigen Venenspezialisten, der sich „Phlebologe“ nennt.

Ich überlege ernsthaft, zu dem Phlebologen in die "Beinsprechstunde" zu gehen, zögere aber. Denn: Ein kurzer Blick ins Internet genügt. Aufatmen - Ich bin nicht allein! Die Internetforen sind voll von verzweifelten Notrufen der Kategorie: „Hilfe! Ich leide unter Besenreisern! Wer kann mir helfen?“ Der Rest des Online-Angebots beschränkt sich zumeist auf kommerzielle Therapieangebote mit Hilfe von Laser und Verödung.

Was auch nicht grad prickelnd klingt, dabei ist die Sache an sich harmlos. Aus medizinischer Sicht stellen Besenreiser zumeist kein Problem dar; aber sie sind natürlich ein kosmetisches Thema, insbesondere dann, wenn Körperregionen betroffen sind, wie z.B. das Gesicht, die sich nicht ohne weiteres durch Bekleidung verhüllen lassen. Wenn man nicht vollverschleiert rumlaufen will. Aber wer will das schon?

Ihren Namen tragen Besenreiser übrigens aufgrund ihrer äußerlichen Ähnlichkeit mit dem Reisig. In früheren Zeiten wurden dürre Reisig-Ästchen zu Kehrbesen zusammengebunden. Apropos: Den Besen könnt ich hier auch mal wieder schwingen, es gibt schließlich immer was zu tun! Wie heißt es im Sprichwort zudem? „Neue Besen kehren gut.“ Gilt das eigentlich auch für Besenreiser?

Dienstag, 18. Juni 2013

Des Kaisers Kehlkopfkrebs


Des Kaisers Kehlkopfkrebs
Der Todestag von Kaiser Friedrich III. und das „Dreikaiserjahr“ jähren sich zum 125. mal

Friedrich III. war eine tragische Figur. Kaum war der Kronprinz nach dem Tod seines Vaters, Kaiser Wilhelm I., am 9. März 1888 auf den deutschen Kaiserthron gelangt, musste er die Regierungsgeschäfte aufgrund einer Krebserkrankung vom Krankenbett aus führen. „Lerne leiden, ohne zu klagen!“ war dabei sein Wahlspruch. Friedrich III. war zeitlebens die Hoffnung des liberalen Bürgertums gewesen.

Das „Dreikaiserjahr“ 1888 ist einer der markanten Wendepunkte der Geschichte der Fragen aufwirft: Hat das Kehlkopfkarzinom des Kaisers eine liberale Entwicklung in Deutschland abgeschnitten? Hätte ohne den frühen Tod Friedrichs III. die deutsche Geschichte einen komplett anderen Verlauf genommen? Wären die Weltpolitik Wilhelms II., das Wettrüsten und der Erste Weltkrieg gar zu verhindern gewesen?

Doch der Reihe nach. Friedrich, 1831 geboren, war von früh auf Anhänger liberaler Ideen - nicht zuletzt aufgrund des Einflusses seiner Frau Victoria, der ältesten Tochter der britischen Königin. In der Phase der Einigungskriege erreichten Nationalismus und Militarismus im Reich eine neue Qualität; gleichzeitig begann die politische Überschätzung Friedrichs als liberalem Hoffnungsträger der Nation.

Spätestens seit dem Sieg über Frankreich 1870/71 galt der Kronprinz in der Heimat als Kriegsheld und wurde zum Generalfeldmarschall ernannt. Sein Vater befand sich bereits im Pensionsalter, als er - mit 73 Jahren - am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert wurde. Fortan befand sich der „Fritz“ genannte, beliebte Kronprinz im Wartestand.

Friedrich III. (1831-1888)


Friedrich opponierte zwar gelegentlich gegen die Innenpolitik des übermächtigen Reichskanzlers Otto von Bismarck, wandte sich aber nie offen gegen das Regime des eigenen Vaters. Die lange Zeit als Kronprinz schien den Thronfolger aber zunehmend zu zermürben: zur Untätigkeit verurteilt, litt der Monarch an Depressionen. Seine politischen Ideen blieben konturlos und diffus. 

Im November 1887 wurde bei Friedrich Kehlkopfkrebs diagnostiziert; seit einem Luftröhrenschnitt hatte der Thronfolger keine Stimme mehr. Nach dem Tod Wilhelms I. bestieg ein stummer und sterbenskranker Monarch den deutschen Kaiserthron. Kaum 99 Tage im Amt folgte Friedrich III. seinem Vater im Juni 1888 in den Tod - zu krank, um nennenswerte politische Spuren hinterlassen zu können.

So blieb seine Regentschaft eine Phase des Übergangs. Hätte die deutsche Geschichte tatsächlich eine Alternative gehabt, wenn Friedrich eine längere Lebenszeit vergönnt gewesen wäre? Für den Historiker Heinrich August Winkler ist diese Frage ein „bis heute fortwirkender Mythos“. Denn der Monarch dachte nicht wirklich ernsthaft daran die parlamentarische Regierungsweise einzuführen.

Friedrich III. war kaum durchsetzungsfähig und zu entscheidungsschwach, um das Kaiserreich entscheidend zu reformieren. Eine liberale Politik im Innern und eine Verständigung mit England hätten den massiven Widerstand des ostelbischen Establishments entfacht. Die vermeintliche „Lichtgestalt“ - zum Herrschen denkbar ungeeignet - wäre wohl an den Beharrungskräften des Kaiserreiches gescheitert.

Friedrich III. ist der Unvollendete der deutschen Geschichte. Seine Rolle beschränkte sich auf die Verheißung einer unerfüllten liberalen Hoffnung. Sein Nachfolger indes, der großspurige und illiberale Wilhelm II., der seinen Vater mit nur 29 Jahren im Juni 1888 im Amt beerbte, wäre früher oder später wohl sowieso auf den Thron gelangt. Wilhelm II. konnte die Politik des Reiches ganz nach seinen Vorstellungen gestalten.

Er sollte Deutschland zum Verhängnis werden.

Sonntag, 9. Juni 2013

Was nun, Herr Zuckerberg?


Was nun, Herr Zuckerberg?
Ein Jahr nach dem Börsenflop: Geht Facebook am Ende die Puste aus?

Die Nachricht kam für manchen überraschend. Für Insider indes war es ein längst überfälliger Schritt: Das Internetportal SchülerVZ hat zum 30. April 2013 seine Pforten geschlossen. Zur Erinnerung: SchülerVZ war noch vor wenigen Jahren das größte soziale Netzwerk für Jugendliche in Deutschland. Ein Menetekel für die Zukunft von Mark Zuckerberg's Facebook, dem derzeit größten Online-Netzwerk der Welt?

Es gib derzeit zumindest Entwicklungen, die Facebook Sorge bereiten. Zum einen ist eine Tendenz auszumachen, nach der vor allem jüngere Nutzer in den USA, England und Deutschland das soziale Netzwerk verlassen und sich anderen Plattformen zuwenden. Besonders das kürzlich an Yahoo verkaufte Tumblr, aber auch Snapchat, Instagram, Path oder Pinterest liegen bei jungen Leuten derzeit hoch im Kurs.

Allein in den USA musste Facebook zuletzt einen Rückgang von rund 3,8 Millionen Nutzern verkraften; in England kehrten etwa 1,3 Millionen Mitglieder Facebook den Rücken. In Deutschland hat Facebook 25 Millionen Nutzer; ein signifikantes Wachstum wird aber auch hier nur noch in der Altersgruppe ab 45 erzielt. Junge Leute scheinen neue Wege zu gehen und entdecken alternative Netzwerke.

Ein Grund für die Stagnation bzw. für den Rückgang in westlichen Ländern könnte an der gestiegenen mobilen Nutzung liegen. Die mobile Version von Facebook scheint insbesondere für jüngere Nutzer weniger attraktiv, denn sie ist mit einigen Kinderkrankheiten belastet. Überdies sind hier die Werbeerlöse für Facebook weitaus geringer, was an den kleineren Smartphone-Bildschirmen liegt.

Vielleicht ist Facebook bei vielen jungen Menschen inzwischen auch einfach uncool geworden, weil beinah alle - Eltern und Lehrer inklusive - dort sind. Junge Nutzer verbringen vermutlich auch deswegen weniger Zeit auf Facebook, weil die Rundum-Versorgung mit nur einem sozialen Netzwerk mittlerweile out ist und sich das Nutzerverhalten diversifiziert. Nichts ist bekanntlich schnelllebiger als das Internet.

Grund genug also für Facebook sich ernsthafte Sorgen zu machen? Steht Facebook ein ähnliches Schicksal wie SchülerVZ, MySpace oder AOL bevor, die heute nur noch den Altvorderen des Internet-Zeitalters bekannt sind? Die Antwort darauf lautet: Wohl eher nicht. Denn Facebook ist trotz eines verpatzten Börsenganges, schlechter Presse und sinkender Werbeeinnahmen immer noch die unangefochtene Nummer Eins.

Und das Online-Portal wächst weiter. Zwar nicht mehr in den Ländern der westlichen Hemisphäre; das Ende der Fahnenstange ist allerdings in den Regionen der Dritten Welt und zahlreichen Schwellenländern noch nicht einmal annähernd erreicht. In China, Indien, Indonesien und Brasilien steigen die Nutzerzahlen kontinuierlich. Derzeit hat Facebook unglaubliche 1,1 Milliarden Mitglieder weltweit.

Die letzten Monate haben gezeigt, dass Facebook gegenwärtig mit strukturellen Problemen zu kämpfen hat. Soziale Netzwerke müssen sich beständig neu erfinden und immer ein Ohr an den aktuellen Trends haben, um nicht irgendwann abgehängt zu werden. Fragt sich, ob auch im Fall Facebook irgendwann das nächste "Big Thing" aus der Deckung kommt, um dem größten sozialen Netzwerk den Rang abzulaufen.