Die
kuratierte Welt
Jedermann
wird derzeit zum Kurator - Ein Berufsbild macht Karriere
Ein Kurator ist ein gediegener Museumsmensch: Er betreut Sammlungen und
realisiert Ausstellungen. Das Wort „Kurator“ stammt vom lateinischen curare ab, was so viel wie sich kümmern bedeutet - und genau das tut ein Kurator. Die Arbeit
eines Kurators in einem Museum lässt sich daher am besten mit einer
dreigliedrigen Tätigkeitsbeschreibung erschließen: Recherchieren, Auswählen,
Präsentieren.
„Die Zeit“ erklärte den Kurator jüngst zu „einer der wichtigsten Figuren
der Gegenwart“, denn ihm obliegt eine Siebfunktion: Aus dem Ozean eines uferlosen
Angebots an Informationen, Objekten und Darstellungsformen filtert er das Wesentliche
und Zeigenswerte heraus. So kümmert er sich als eine Art „Geschmacksverstärker“
um das, was er anderen näherbringen möchte.
Seit einiger Zeit ist allerdings ein Trend zu beobachten, nachdem sich
beinah jedermann zum Kurator erklärt: Designer, Parfümeure, Ladenbesitzer und
selbst DJs „kuratieren“ ihre Kollektionen, Düfte, Kleiderarrangements und
Playlists. Was in den 90er Jahren mit der DJ Culture als dem Inbegriff der
Moderne begann, findet in der Gegenwart ihre Vollendung in der „Curation
Nation“: Everybody is a curator!
Und es stimmt ja: Die meisten von uns stellen individuelle Musiklisten
zusammen, liken Veranstaltungen und
Produkte und posten Interessantes oder
Banales in den sozialen Netzwerken. All dies dient dem individuellen Ausdruck
der eigenen Geschmackspräferenz und weist unseren Followern einen
vorselektierten Weg durch das Dickicht einer zunehmend unübersichtlich
gewordenen, digitalen Welt.
Durch die Okkupation des Begriffes „kuratieren“ in eigentlich
branchenfremde Bereiche wie Mode oder Musik machen sich die „Kuratoren“ gleich
ein bisschen größer - indem sie auf ihren vermeintlichen Geschmack verweisen
und das seriös-wissenschaftliche Prozedere der Museumsarbeit imitieren. Hier
wie dort hat der Kurator in jedem Fall das letzte Wort über das, was gezeigt
wird und was nicht.
„Kurator“ ist insoweit nichts anderes als ein trendiges Label und „kuratieren“
eine Chiffre für Selektion und Präsentation. Der Kurator als gut vernetzter
globaler Nomade, der Kontakte in alle Welt pflegt und ständig an neuen
Projekten strickt, scheint indes der neue Traumberuf aller Hipster zu sein. Allerdings
sind die Bedingungen nicht überall glorreich und so mancher Kurator lebt von
Nebenjobs.
Der Medientheoretiker Neil Postman beklagte in den 80er Jahren in seinem
Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ die zunehmende Infantilisierung des
TV-Programms. In Anlehnung an Postmans populäre These könnte es mit Blick auf das
Thema heißen: „Wir kuratieren uns zu Tode“. Denn wenn alles und jedes „kuratiert“
wird, erschöpft sich der Begriff letztlich in inhaltsleerer Beliebigkeit: von curare keine Spur mehr.
Herzlich Willkommen in der „kuratierten Welt“!
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