Freitag, 28. Dezember 2012

Der schöne Schein der Adoleszenz


Der schöne Schein der Adoleszenz
Vom Jugendwahn zur Altersverachtung ist es nur ein kleiner Schritt

Vor einiger Zeit entdeckte der Verfasser über dem Portal einer altehrwürdigen Schule in Essen den Spruch „Heilig sei die Jugendzeit.“ Ein wie für die Ewigkeit in Stein gemeißelter Satz, der einem gerade zwischen den Jahren zu denken gibt. So ist er zwar vor über einhundert Jahren als Motto für Schulzeit und Jugendalter ausgewählt worden und datiert mithin aus der Ära der Kaiserzeit; programmatisch hat dieser Satz allerdings nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Er beschreibt vielmehr die Überhöhung einer bestimmten Phase menschlicher Entwicklung und gibt einen Fingerzeig auf einen gegenwärtig zu beobachtenden gesellschaftlichen Prozess: Dem Übermaß an Aufmerksamkeit, die dem so vergänglichen Phänomen der Jugend zuteil wird.  

„Jugend ist Trunkenheit ohne Wein“, hat Johann Wolfgang Goethe einst in lyrischer Form zu Protokoll gegeben; ein Hinweis darauf, dass die Jugendzeit zu allen Zeiten ebenso verehrt wie verklärt wurde. Die heutige Zeit scheint aber geradezu berauscht zu sein von Jugend- und Adoleszenzverehrung. Jugendwahn und Jugendfixierung sind die alles beherrschenden Chiffren der Postmoderne: Auf Zeitschriftentiteln, in Fernsehserien, Büchern, Filmen und selbstredend in der Werbung sind junge Menschen in einer Fülle vertreten, die dem tatsächlichen Anteil dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung krass entgegenstehen. Jugendlichkeit und gutes Aussehen sind offenkundig angesagt. Magazine, Waren und TV-Produktionen verkaufen sich besser, wenn sie mit jugendlichen Darstellern aufgepeppt werden, die im Glanze ihrer Jugend Maienblüte stehen.

Dabei gehören Werden und Vergehen, Blüte und Verfall seit jeher zum menschlichen Dasein. Die Verklärung der Jugendzeit mitsamt ihrer vermeintlichen Attribute Schönheit, Attraktivität und Leistungsstärke dürfte damit ebenso alt sein wie die Menschheit daselbst. Eine relativ kurze Phase im Leben eines Menschen erhält damit eine Aufmerksamkeit, die alle darauf folgenden Lebensstufen buchstäblich „alt“ aussehen lässt - mit teilweise gravierenden Folgen. Denn dort, wo gutes Aussehen und Jugendlichkeit zu den Kennzeichen des modernen Menschen gehören und einen sozialen Machtfaktor innerhalb der Gesellschaft darstellen, scheint kein Platz mehr zu sein für Älterwerden, Faltenbildung und schütteres Haar.  

Für die vom ruinösen Verfall Bedrohten steht allerdings ein umfangreicher Vorrat an Cremes, Wässerchen und Pflegeserien zur Verfügung; diese gehören ebenso zum Arsenal des zeitgenössischen Menschen wie der regelmäßige Besuch von Fitnessstudios, Nasenkorrekturen oder Botox-Injektionen. Eine ganze Anti-Aging-Industrie hat sich darauf spezialisiert, Jugendlichkeit und junges Aussehen möglichst dauerhaft zu konservieren. Dabei ist Altern als biologischer Prozess weder umzukehren noch signifikant aufzuhalten; die meiste Zeit unseres Daseins werden wir alt sein - und dementsprechend alt aussehen. Eine für viele Zeitgenossen offenkundig erschreckende Vorstellung. Signifikante Wegmarken des eigenen Lebens, z. B. der vierzigste oder gar fünfzigste Geburtstag, geraten aus dieser Perspektive zu einer einzigen Horrorvorstellung.

Die allgegenwärtige, fast schon pathologische Jugendfixierung treibt darüber hinaus skurrile Blüten: Angehende Silver Surfer scheuen sich auch vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft immer weniger, mit den Insignien und Inbegriffen einer popkulturellen, jugendlichen Markenwelt zu posieren. Obwohl (oder gerade deswegen?) die Erfindung der „werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen“ ausgerechnet die konsumfreudigen und nachweislich liquiden, älteren Jahrgänge bewusst ignoriert. Vom Jugendwahn zur Altersverachtung ist es indes nur ein kleiner Schritt: Altersbashing war in den vergangenen Jahren schwer in Mode. Das Wort „Rentnerschwemme“ hat es vor einiger Zeit sogar zum „Unwort des Jahres“ gebracht - auch wenn es der Begriff „Altenplage“ vielleicht noch viel mehr verdient gehabt hätte.

In den letzten Jahrzehnten hat, offenkundig vom Turbokapitalismus stark begünstigt, ein krasser Wertewandel eingesetzt, der Altsein mit Attributen wie krank, unansehnlich, kostenverursachend, gebrechlich und leistungsschwach gleichsetzt. Altwerden ist wie Dicksein oder Krankheit gesellschaftlich überwiegend negativ konnotiert. Dabei ist Alter aus historischer Perspektive ein durchaus positiv besetzter Begriff: Im alten Rom und im antiken Sparta existierte ein Senat (wörtlich Ältestenrat), der durch Weisheit und abgeklärte Lebenserfahrung eine wichtige, beratende Funktion in Staatswesen und Polis ausfüllte. Auch Judentum und Christentum haben traditionell eine hohe Achtung vor dem Alter, man denke nur an die alttestamentarische Figur des weisen Methusalem, der angeblich erst im biblischen Alter von gerade einmal 969 Jahren verstarb.  

Der Respekt vor dem Alter scheint in der heutigen Zeit zugunsten der Jugendfixierung teilweise verloren gegangen zu sein. Dabei sind Schönheit und Jugendlichkeit kurzlebige und vergängliche Phänomene, die man denjenigen überlassen sollte, die tatsächlich jung und schön sind. Der Menschheit ewiger Traum vom Jungbrunnen hat sich, trotz aller technischen Finessen der Moderne, bislang nicht realisieren lassen. Wer sich nicht rechtzeitig mit diesen unumstößlichen Fakten arrangiert und mit dem Älterwerden seinen Frieden macht, tappt in die Falle eines vorbestimmten Altersunglücks. Ganze Kohorten der auf den gängigen Jugendkult Fixierten, die dem schönen Schein aus Makellosigkeit, glatter Haut und ewiger Adoleszenz erlegen sind, laufen Gefahr, ein kollektives Altersunglück zu erleiden.

Doch dazu muss es nicht kommen. Eine gelassene, abgeklärte Haltung zum Altern mit all seinen Begleiterscheinungen und Phänomenen, eine bewusste Abkehr vom Zahlenkult der Mehrheitsgesellschaft und eine Rückbesinnung auf diejenigen Werte im Leben, auf die es tatsächlich ankommt, weisen einen Ausweg. Auch ein wenig Demut vor dem Alter könnte nicht von Schaden sein. Der ein wenig abgedroschene Satz, nachdem man immer nur so alt sei, wie man sich gerade fühlt, tut ein Übriges. Er spannt einen Bogen vom kalendarischen zum biologisch gefühlten Lebensalter, ohne dieses beschönigen oder relativieren zu wollen. „Heilig sei die Jugendzeit“ hieß es zu Beginn. Durchaus, möchte man hinzufügen, die verbleibende Lebenszeit danach aber auch!  

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Apocalypse now!


Apocalypse now!
Am Freitag geht die Welt unter. Sagen die Verschwörungstheoretiker

Alle Jahre wieder - und diesmal sogar zur Weihnachtszeit - geht die Welt unter. Zumindest dann, wenn es nach einigen Verschwörungstheoretikern geht, die für den 21. Dezember 2012 den Weltuntergang prophezeit wissen wollen. Neben den nebulösen und kryptischen Weissagungen des Nostradamus ist es diesmal vor allem das Auslaufen des Maya-Kalenders, der das Weltende ein für alle Mal besiegeln soll.

Am kommenden Freitag endet tatsächlich die 13. Periode im Kalendersystem der Maya. Von einem nahenden Weltuntergang sprechen aber auch Mayaforscher nicht; vielmehr bricht ein neuer Zeitzyklus an und der Kalender wird auf null gesetzt. Aus dem Ende der kalendarischen Zeitrechnung einer indigenen Volksgruppe haben Untergangspropheten kurzerhand das Ende der ganzen Welt abgeleitet.

Dabei ist die vor allem durch esoterische Kreise befeuerte Endzeithysterie ein überwiegend westliches und christliches Phänomen, das praktischerweise auf die alte Hochkultur der Maya projiziert wird. Die lange Kette prophezeiter Weltuntergänge, die bislang allesamt nicht eingetreten sind, steuert am Ende dieser Woche einem neuen Höhepunkt entgegen: Apocalypse now!

Dabei ist die Lust am Untergang und das sich weiden an endzeitlichen Apokalypse-Vorstellungen offenbar tief in der menschlichen Natur verwurzelt. Derlei Katastrophenszenarien spielen mit einer verbreiteten Lust an der Zerstörung, die alle Schlechtigkeiten der Welt auf einmal wegspült und als globaler Kehraus zudem den Fall der Mächtigen und Reichen herbeiführt.

Auf diese Weise würde eine neue, göttliche Ordnung geschaffen, die alle Möglichkeiten für einen wie auch immer gearteten Neuanfang bereithält. Neben alttestamentarischen Vorstellungen hat vor allem die Offenbarung des Johannes eine christliche Untergangsapologetik vom nahenden Weltgericht etabliert, dem über die Jahrhunderte hinweg immer wieder leichtgläubige Geister verfallen sind.

Doch auch die Gegenwart ist voll von Weltuntergangsängsten und Katastrophenszenarien: Waldsterben, Hungersnöte, Atomkrieg, Ozonloch, Klimawandel, Aids, Umweltzerstörung, Schwarze Löcher und Pandemien sind nur einige Chiffren einer widersprüchlichen Moderne, deren Untergangsmetaphorik das nahe Weltende mit immer neuen Schreckensbildern wollüstig auskostet.

Der 21. Dezember 2012 ist zudem ein Internetphänomen, das in zahlreichen Foren, Websites und Blogs gehyped wird; das Datum ist daher vor allem ein einträgliches Geschäft. Denn die Angst verfängt zumeist bei schlicht gestrickten Zeitgenossen, die auf einschlägigen Websites mit Schutzräumen, Survival-Kits und Wasserfiltern, Büchern und Filmen versorgt bzw. um ihre Ersparnisse gebracht werden.

Man darf also gespannt sein, welches Datum das nächste, nunmehr ganz sichere Untergangsszenario bereithält, wenn’s diesmal wieder nicht mit dem Weltuntergang klappt. Denn auf eines kann man sich getrost verlassen: dass den Verschwörungstheoretikern niemals der Stoff für ihre ebenso kruden wie unseriösen Prophezeiungen ausgehen wird. In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten!  

Freitag, 14. Dezember 2012

Im Auge des Sturms


Im Auge des Sturms
Shitstorm - Wenn das Netz zum Pranger wird

Der Herbst ist eine Jahreszeit, in der nicht nur die Blätter beschaulich zu Boden fallen. Der Herbst geht immer wieder auch mit Stürmen und Starkwinden einher, die Dächer abdecken, Bäume entwurzeln und Haarteile aufwirbeln. Herbstzeit – Sturmzeit. Dass sich im Herbst auch ein Sturm der ganz anderen Art ereignen kann, der als Shitstorm nicht selten das Ausmaß eines virtuellen Orkans erreicht, ist indes ein Phänomen neuerer Zeit.

Als Shitstorm bezeichnet man eine öffentliche Entrüstung im Internet, die von Beleidigungen und Drohungen begleitet ist. Dabei fängt alles zumeist ganz harmlos an. Wie kürzlich mit einer Kolumne für Brigitte.de, in der sich die Redakteurin Bianka Echtermeyer über postjugendliche Hipster aus dem Hamburger Szenestadtteil St. Pauli echauffiert, die im Alter von 25 Jahren noch mit dem Skateboard unterwegs sind und partout nicht erwachsen werden wollen:

"Das sind oft Typen, die eine schräge Pony-Frisur tragen, nie lächeln und nach der Party von letzter Nacht riechen. Am liebsten würde ich die am ergrauten Schopf packen und anschreien: "Hör auf damit! Dafür bist du zu alt. (…) Skateboards gehören zu kleinen Jungs!“

Das ist zwar fein beobachtet und sicherlich stark übertrieben - aber darum geht es natürlich gar nicht. Bemerkenswert an diesem Fall ist nicht der kontroverse persönliche Geschmack der Autorin, der selbstredend von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Entscheidend an diesem Beispiel ist vielmehr was dann passierte. Denn nach Veröffentlichung der Kolumne ergoss sich ein beispielloser Shitstorm über die Autorin.
                                     
Die Kolumnistin hatte - bei aller Polemik und scharfzüngiger Übertreibung - offenkundig einen Nerv getroffen, der die so arg Kritisierten zu heftigsten Reaktionen anstachelte. Die Schmähungen und Drohungen in den Kommentaren zum Artikel waren zum Teil derart massiv, dass die Redaktion den Beitrag zeitweilig aus dem Netz nahm und sich für seinen Inhalt sogar entschuldigte.

Man muss sich nur einmal die Mühe machen und all die selbstgerechten, beleidigenden, unsachlichen und teilweise diffamierenden Kommentare unter einem x-beliebigen Internet-Artikel lesen. Die Pöbel-Attacken virtueller Wutbürger, die glauben, sich im Schutz ihrer vermeintlichen Netz-Anonymität alles erlauben zu können, lassen einen zuweilen an der Demokratie ernsthaft zweifeln.

Im Shitstorm kulminiert dieser Verbal-Vandalismus dann in Echtzeit und bekommt eine rasante Eigendynamik, die durch Social Media, Blogs und Foren zusätzlich befeuert wird. Mit demokratischer Streitkultur, sachlich-fairer Auseinandersetzung oder gar Meinungsfreiheit hat ein derart entfachter Shitstorm nichts mehr zu tun, im Gegenteil.

Ein Shitstorm beschädigt die Debattenkultur, missachtet Pluralität und Meinungsfreiheit; er setzt überdies die potentiellen Opfer unter enormen psychischen Druck. Die Folge eines Shitstorms könnten weichgespülte Mainstream-Meinungen sein, die sich aus Angst vor dem virtuellen Mob nicht mehr trauen, Farbe zu bekennen und mit unpopulären Meinungen anzuecken.

Die Freiheit im Internet ist ein hohes Gut. Mit Freiheit muss jedoch immer auch verantwortungsvoll umgegangen werden; Freiheit im Netz darf nicht dadurch missbraucht werden, dass man den anderen persönlich beleidigt oder diffamiert. Die Grenzen der demokratischen Streitkultur unserer Gesellschaft müssen auch im Internet Bestand haben.

Das Internet und insbesondere das Web 2.0 dürfen nicht durch die Infantilität einiger Nutzer zum virtuellen Pranger verkommen. Es gilt daher, mehr Fairness walten zu lassen, das Internet insgesamt zu zivilisieren und nicht den Pöblern zu überlassen. Auf das der nächste Shitstorm zu dem wird was er von jeher sein sollte: ein herbstlicher Sturm im Wasserglas.


Donnerstag, 6. Dezember 2012

Comeback des Feudalismus


Comeback des Feudalismus
Die deutsche Gesellschaft ist immer weniger durchlässig

Die Leiter ist ein Gegenstand, mit dem man vortrefflich nach oben steigen kann; sie eignet sich aber auch, um von dort wieder hinabzusteigen. Uns soll zunächst nur der Aufstieg interessieren. Denn die Leiter wird allzu gern als Metapher gewählt, sobald von sozialem Aufstieg die Rede ist, wenn es also gilt, die Karriereleiter zu erklimmen und in eine höhere soziale Schicht vorzurücken.

Was jedoch, wenn der Weg nach oben verstellt ist, der soziale Aufstieg stockt, oder, um im Bilde zu bleiben, der Leiter schlicht die notwendigen Sprossen fehlen um von ganz unten nach ganz oben zu gelangen? Wie eine Studie der OECD jüngst ergab, erreichen nur rund 20 Prozent der jungen Deutschen einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern, ein im internationalen Vergleich schlechter Wert.

Zudem kommen nur noch 17 Prozent aller Studierenden aus Arbeiterfamilien, Tendenz fallend. Die deutsche Gesellschaft ist offenkundig immer weniger durchlässig für Bildungsaufsteiger; Aufsteigerkarrieren und soziale Mobilität werden seltener. Seit den 1990er Jahren entscheidet wieder zunehmend die Herkunft und weniger die individuelle Leistung, welche Position man im Leben erlangen kann.

Die aus dem Zeitalter des Feudalismus stammende Schichtimmobilität bestimmte praktisch mit der Geburt, welche Lebenschancen der Einzelne hatte. Die Bildungsexpansion der 1970er Jahre mit Universitätsgründungen, Kollegschulen, Lernmittelfreiheit und einem BAföG für (fast) alle beseitigte zum ersten Mal die Barrieren tradierter Schichtgrenzen. Auch Studiengebühren gab es damals noch nicht.

Die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft war nicht nur eine Leistungsgesellschaft, sie war auch eine Aufstiegsgesellschaft mit einem inkludierten Versprechen: Jeder kann es nach oben schaffen, wenn er sich nur anstrengt. Der expandierende Sozialstaat hatte die Funktion eines „Schicksalskorrektors“ (Heribert Prantl), der Menschen aus bildungsfernen Schichten besonders förderte und Benachteiligungen abzubauen versprach.

Warum ist die Gesellschaft immer weniger durchlässig? Menschen, die zur Elite gehören rekrutieren einander wieder zunehmend aus der eigenen Schicht heraus, so dass es zu einer Vererbung von sozialem Status und Privilegien kommt. Zudem hat ausgerechnet die Generation, die einst am meisten von der Bildungsexpansion profitierte und inzwischen an einflussreiche Posten gelangt ist, die Strickleitern zum sozialen Aufstieg im Zeichen von Rationalisierung und Sozialabbau klammheimlich eingeholt.

Aber auch die Betroffenen selbst stehen sich und ihrem individuellen Aufstieg immer wieder selbst im Weg und absolvieren lieber eine klassische Ausbildung anstatt sich auf das Risiko eines gebührenpflichtigen Studiums einzulassen. Dieses Sicherheitsdenken ist verständlich, kann aber das persönliche Vorwärtskommen hemmen. Kindern von Nichtakademikern fehlt es zudem oft an Aufstiegsvorbildern und positiven Impulsen von außen.

Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Durchlässigkeit stehen im Zeitalter von Turbokapitalismus und Globalisierung nicht besonders hoch im Kurs. Vielmehr ist eine aufstiegsresistente, statische Gesellschaft auszumachen, die dem Aufstiegswilligen allzu gern das Mantra „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“ entgegenschleudert. Jeder möge an dem Platz verharren, wo der Herrgott ihn einst hingestellt hat. Eine Auffassung, die ganz dem konservativen Menschenbild entspricht.

Es ist immer von besonderer Tragik, wenn Menschen unter ihren Möglichkeiten bleiben und nicht ihren Begabungen entsprechend tätig sind. Benjamin Franklin hat diese Menschen als „Sonnenuhren im Schatten“ bezeichnet. Die früher einmal offenen Kanäle zum sozialen Aufstieg sind heute vielfach blockiert. Damit wird leichtfertig auf ein großes gesellschaftliches Potenzial verzichtet. Der Feudalismus scheint - zumindest partiell - ein unerwartetes Comeback zu feiern.


Donnerstag, 29. November 2012

Ich poste, also bin ich


Ich poste, also bin ich
Kritische Anmerkungen zu einem Facebook-Phänomen

Ich gebe es zu. Ja, ich gestehe: Auch ich besitze mittlerweile ein persönliches Facebook-Profil und bin damit Teil des größten sozialen Netzwerkes der Welt. Und auch ich habe dort schon mal Unsinn und Belanglosigkeiten gepostet. Was dort in der Rubrik „Statusmeldungen“ zuweilen von dem einen oder anderen Zeitgenossen so alles veröffentlicht wird, übersteigt jedoch meine individuelle Banalitässchmerzgrenze um ein Vielfaches.

„Sitze grade im Biergarten und trinke ein leckeres Weizen!“ „Mir doch egal“, möchte man dazwischenrufen. „Unterwegs nach Dortmund, hui – ist das kalt heut!“ „Zieh dir was über,“ denkt man „oder bleib zuhause.“ „Treffe mich gleich mit Meike zum Shopping in der Stadt!“ „Vergiss die Gold Card von Vatti nicht“ entgegne ich im Geiste. Okay, die Statusmeldung bei Facebook ist dafür eingerichtet, dass man das, was man gerade tut, den anderen in Form eines Posts mehr oder weniger öffentlich mitteilt.

Aber wen interessieren all die banalen, digitalen Wasserstandsmeldungen, welche die wirklich originellen und witzigen Posts in einem Meer ermüdender Geschwätzigkeit eiskalt ertränken? Offenkundig ist kaum eine Handlung zu banal, um nicht als Statusmeldung und Teil der Facebook-Chronik eine quasi-posthume und damit ewige Würdigung zu erlangen. So manch ein Post auf Facebook kommt einem denn auch wie der virtuelle Tag eines Sprayers vor, der, einem Köter gleich, die Hauswand markiert um sein Revier abzugrenzen. 
                   
Offenkundig entspricht der weitverbreitete, permanente Drang, das aktuelle Treiben und Tun zu veröffentlichen, einem gesellschaftlichen Grundbedürfnis nach Aufmerksamkeit sowie einem frühkindlichen Wunsch nach Anteilnahme. Wenn alles und jedes, ohne Filter gepostet und zum Ereignis in Echtzeit hochgepusht wird, erstarrt das Posten selbst zum ritualisierten Pseudoereignis und leeren Event. Die Banalisierung des Alltags gleicht dabei nicht selten einer inhaltslosen Dampfplauderei.

Der ständige Zwang wahrgenommen zu werden wird dabei durch die modernen Smartphones begünstigt. Auch der allergrößte Unsinn kann mit einem internetfähigen Handy in Echtzeit von unterwegs freigesetzt werden. Das gilt insbesondere für die vielfach noch banaleren, weil kürzeren Tweets via Twitter. Das Bedürfnis, kontinuierlich virtuelle Lebenszeichen abzusondern, entspricht offenkundig der Angst, für tot gehalten zu werden, sobald nicht permanent eine aktuelle Statusmeldung rausgehauen wird.

Aus dieser Perspektive gerät der Satz „Ich poste, also bin ich“ zum „cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) unserer Zeit: Er ist die Maxime der virtuellen Selbstdarsteller der Post(s)moderne. Wobei die einzelnen Posts oder Tweets mit Denken im engeren Sinne meist nicht viel zu tun haben - leider. Dabei ist weniger meistens mehr - das gilt im Besonderen für die Nutzung von Facebook und Twitter. Ich für meinen Teil werde mich daran halten. Versprochen.


Freitag, 23. November 2012

Quo vadis, Harald Schmidt?



Quo vadis, Harald Schmidt?
Der begnadete Entertainer erzielt auf Sky derzeit Einschaltquoten von 0,0 Prozent

März 1999: Oskar Lafontaine war soeben von allen Ämtern zurückgetreten und gab einige Tage darauf vor seinem Haus in Saarbrücken einer Pressemeute ein erstes Interview – mit Sohn Carl-Maurice auf den Schultern, von dem allerdings zumeist nur die Beine zu sehen waren. Soweit, so schlimm. Was folgte war einer der vielleicht genialsten Auftritte im deutschen Fernsehen. Denn Harald Schmidt moderierte einige Tage später eine ganze Sendung im Stile Lafontaines: mit einem um den Hals geschlungenen Huckepack-Unterleib vom Typ „Carl-Maurice“. Großartig.

Schmidt, der seine TV-Karriere mit Sendungen wie „Maz ab!“, „Pssst“ und „Verstehen Sie Spaß?“ begonnen hatte, war der erste Moderator, der mit der „Harald-Schmidt-Show“ das Late-Night-Format im deutschen Fernsehen fest etablierte. Nach seinem Wechsel von der ARD zu Sat.1 im vergangenen Jahr wurde er dort im Frühjahr wegen schlechter Quoten geschasst, um fortan seine Sendung exklusiv für den Pay-TV-Sender Sky zu produzieren. Auf Sky erreichte seine Sendung zuletzt nur wenige Tausend Zuschauer: Der Marktanteil lag bei kaum messbaren 0,0 Prozent!

Welch ein Abstieg aus dem Olymp der Fernsehunterhaltung – nach zwanzig Jahren ununterbrochener Marktführerschaft im TV-Segment des schwarzen Humors. Dabei war es der geniale Parodist Schmidt, der das Genre nicht selten an seine absurden Grenzen geführt hatte. So moderierte Schmidt einmal eine ganze Show mit dem Rücken zum Publikum und bestritt eine andere Sendung komplett in französischer Sprache. Unvergessen bleibt auch das Interview mit der „Schauspielerin“ Jessica Stockmann, die entnervt die Sendung verließ, nachdem Schmidt sie wiederholt und ausschließlich auf ihren damaligen Ehemann Michael Stich angesprochen hatte.
                      
Wer außer Schmidt hätte ungestraft als Adolf Hitler verkleidet in Uniform - und somit ganz Bruno Ganz - vor dem Wiedererstarken des Nationalsozialismus mit den Worten „Wehrrret den Anfängen! Ich weiß, wovon ich rrrede!“ warnen können? Wer sonst außer Schmidt hätte die quasi-intellektuelle „Playmobil-Literaturwerkstatt“ aus der Taufe heben können, in der kammerspielartig Ereignisse aus Geschichte und Weltliteratur auf höchstem Niveau abgehandelt wurden? Und wer sonst außer Schmidt hätte sich all die anderen Fernseheskapaden leisten dürfen, die einen wohldosierten Kontrapunkt zum verhassten „Unterschichtenfernsehen“ darstellten?

Ein Harald Schmidt in Hochform war in den vergangenen Jahren allerdings immer seltener auszumachen: Schmidt und das Late-Night-Format haben sich zusehends totgelaufen – zu durchschnittlich, zu lustlos präsentierte sich der große Satiriker allzu oft. Im Laufe der Zeit schwand sein Nimbus und man hatte nicht mehr das Gefühl etwas verpasst zu haben, wenn man Schmidt einmal verpasst hatte. Zuletzt war dem Lästermaul offenkundig die subversive Kreativität abhandengekommen, die ihn einst zum Liebling des Feuilletons hat werden lassen; der allmähliche Bedeutungsverlust Schmidts war kaum zu übersehen.

Schmidts genialer Sinn für Nonsens, seine berüchtigte Spontaneität sowie seine konsequente Absage an jedwede Form der political correctness haben „Dirty Harry“ zum Erzieher meiner Generation gemacht. Schmidts großes Verdienst besteht vor allem darin, Ironie und Sarkasmus im bräsigen TV-Einerlei eine Stimme gegeben zu haben. Den Wechsel zum Bezahlsender Sky kommentierte Schmidt zuletzt wie folgt: „Ich bin wie Griechenland! Wenn ihr dieses wertvolle kulturelle Erbe retten wollt, müsst ihr zahlen!“ Mal sehen, wie viele Schmidt-Fans diesem Aufruf Folge leisten.