Comeback des
Feudalismus
Die deutsche
Gesellschaft ist immer weniger durchlässig
Die Leiter ist ein Gegenstand, mit dem man vortrefflich nach
oben steigen kann; sie eignet sich aber auch, um von dort wieder
hinabzusteigen. Uns soll zunächst nur der Aufstieg interessieren. Denn die
Leiter wird allzu gern als Metapher gewählt, sobald von sozialem Aufstieg die
Rede ist, wenn es also gilt, die Karriereleiter zu erklimmen und in eine höhere
soziale Schicht vorzurücken.
Was jedoch, wenn der Weg nach oben verstellt ist, der
soziale Aufstieg stockt, oder, um im Bilde zu bleiben, der Leiter schlicht die
notwendigen Sprossen fehlen um von ganz unten nach ganz oben zu gelangen? Wie
eine Studie der OECD jüngst ergab, erreichen nur rund 20 Prozent der jungen
Deutschen einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern, ein im
internationalen Vergleich schlechter Wert.
Zudem kommen nur noch 17 Prozent aller Studierenden aus
Arbeiterfamilien, Tendenz fallend. Die deutsche Gesellschaft ist offenkundig immer
weniger durchlässig für Bildungsaufsteiger; Aufsteigerkarrieren und soziale
Mobilität werden seltener. Seit den 1990er Jahren entscheidet wieder zunehmend die
Herkunft und weniger die individuelle Leistung, welche Position man im Leben
erlangen kann.
Die aus dem Zeitalter des Feudalismus stammende
Schichtimmobilität bestimmte praktisch mit der Geburt, welche Lebenschancen der
Einzelne hatte. Die Bildungsexpansion der 1970er Jahre mit Universitätsgründungen,
Kollegschulen, Lernmittelfreiheit und einem BAföG für (fast) alle beseitigte
zum ersten Mal die Barrieren tradierter Schichtgrenzen. Auch Studiengebühren
gab es damals noch nicht.
Die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft war nicht nur eine
Leistungsgesellschaft, sie war auch eine Aufstiegsgesellschaft mit einem
inkludierten Versprechen: Jeder kann es nach oben schaffen, wenn er sich nur
anstrengt. Der expandierende Sozialstaat hatte die Funktion eines
„Schicksalskorrektors“ (Heribert Prantl), der Menschen aus bildungsfernen
Schichten besonders förderte und Benachteiligungen abzubauen versprach.
Warum ist die Gesellschaft immer weniger durchlässig? Menschen,
die zur Elite gehören rekrutieren einander wieder zunehmend aus der eigenen
Schicht heraus, so dass es zu einer Vererbung von sozialem Status und
Privilegien kommt. Zudem hat ausgerechnet die Generation, die einst am meisten
von der Bildungsexpansion profitierte und inzwischen an einflussreiche Posten
gelangt ist, die Strickleitern zum sozialen Aufstieg im Zeichen von
Rationalisierung und Sozialabbau klammheimlich eingeholt.
Aber auch die Betroffenen selbst stehen sich und ihrem
individuellen Aufstieg immer wieder selbst im Weg und absolvieren lieber eine klassische
Ausbildung anstatt sich auf das Risiko eines gebührenpflichtigen Studiums
einzulassen. Dieses Sicherheitsdenken ist verständlich, kann aber das
persönliche Vorwärtskommen hemmen. Kindern von Nichtakademikern fehlt es zudem oft
an Aufstiegsvorbildern und positiven Impulsen von außen.
Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche
Durchlässigkeit stehen im Zeitalter von Turbokapitalismus und Globalisierung
nicht besonders hoch im Kurs. Vielmehr ist eine aufstiegsresistente, statische
Gesellschaft auszumachen, die dem Aufstiegswilligen allzu gern das Mantra
„Schuster, bleib bei deinem Leisten!“ entgegenschleudert. Jeder möge an dem
Platz verharren, wo der Herrgott ihn einst hingestellt hat. Eine Auffassung,
die ganz dem konservativen Menschenbild entspricht.
Es ist immer von besonderer Tragik, wenn Menschen unter
ihren Möglichkeiten bleiben und nicht ihren Begabungen entsprechend tätig sind.
Benjamin Franklin hat diese Menschen als „Sonnenuhren im Schatten“ bezeichnet.
Die früher einmal offenen Kanäle zum sozialen Aufstieg sind heute vielfach
blockiert. Damit wird leichtfertig auf ein großes gesellschaftliches Potenzial
verzichtet. Der Feudalismus scheint - zumindest partiell - ein unerwartetes
Comeback zu feiern.
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