Im Auge des Sturms
Shitstorm - Wenn das
Netz zum Pranger wird
Der Herbst ist eine Jahreszeit, in der nicht nur die Blätter
beschaulich zu Boden fallen. Der Herbst geht immer wieder auch mit Stürmen und
Starkwinden einher, die Dächer abdecken, Bäume entwurzeln und Haarteile
aufwirbeln. Herbstzeit – Sturmzeit. Dass sich im Herbst auch ein Sturm der ganz
anderen Art ereignen kann, der als Shitstorm
nicht selten das Ausmaß eines virtuellen Orkans erreicht, ist indes ein
Phänomen neuerer Zeit.
Als Shitstorm
bezeichnet man eine öffentliche Entrüstung im Internet, die von Beleidigungen
und Drohungen begleitet ist. Dabei fängt alles zumeist ganz harmlos an. Wie
kürzlich mit einer Kolumne für Brigitte.de,
in der sich die Redakteurin Bianka Echtermeyer über postjugendliche Hipster
aus dem Hamburger Szenestadtteil St. Pauli echauffiert, die im Alter von 25
Jahren noch mit dem Skateboard unterwegs sind und partout nicht erwachsen
werden wollen:
"Das sind oft Typen, die eine schräge
Pony-Frisur tragen, nie lächeln und nach der Party von letzter Nacht riechen.
Am liebsten würde ich die am ergrauten Schopf packen und anschreien: "Hör
auf damit! Dafür bist du zu alt. (…) Skateboards gehören zu kleinen Jungs!“
Das ist zwar fein
beobachtet und sicherlich stark übertrieben - aber darum geht es natürlich gar nicht.
Bemerkenswert an diesem Fall ist nicht der kontroverse persönliche Geschmack
der Autorin, der selbstredend von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Entscheidend
an diesem Beispiel ist vielmehr was dann
passierte. Denn nach Veröffentlichung der Kolumne ergoss sich ein beispielloser
Shitstorm über die Autorin.
Die Kolumnistin
hatte - bei aller Polemik und scharfzüngiger Übertreibung - offenkundig einen
Nerv getroffen, der die so arg Kritisierten zu heftigsten Reaktionen anstachelte.
Die Schmähungen und Drohungen in den Kommentaren zum Artikel waren zum Teil derart
massiv, dass die Redaktion den Beitrag zeitweilig aus dem Netz nahm und sich
für seinen Inhalt sogar entschuldigte.
Man muss sich nur
einmal die Mühe machen und all die selbstgerechten, beleidigenden, unsachlichen
und teilweise diffamierenden Kommentare unter einem x-beliebigen Internet-Artikel
lesen. Die Pöbel-Attacken virtueller Wutbürger, die glauben, sich im Schutz
ihrer vermeintlichen Netz-Anonymität alles erlauben zu können, lassen einen
zuweilen an der Demokratie ernsthaft zweifeln.
Im Shitstorm
kulminiert dieser Verbal-Vandalismus dann in Echtzeit und bekommt eine rasante Eigendynamik,
die durch Social Media, Blogs und Foren zusätzlich befeuert wird. Mit demokratischer
Streitkultur, sachlich-fairer Auseinandersetzung oder gar Meinungsfreiheit hat
ein derart entfachter Shitstorm nichts mehr zu tun, im Gegenteil.
Ein Shitstorm
beschädigt die Debattenkultur, missachtet Pluralität und Meinungsfreiheit; er
setzt überdies die potentiellen Opfer unter enormen psychischen Druck. Die
Folge eines Shitstorms könnten weichgespülte Mainstream-Meinungen sein, die
sich aus Angst vor dem virtuellen Mob nicht mehr trauen, Farbe zu bekennen und mit
unpopulären Meinungen anzuecken.
Die Freiheit im
Internet ist ein hohes Gut. Mit Freiheit muss jedoch immer auch
verantwortungsvoll umgegangen werden; Freiheit im Netz darf nicht dadurch
missbraucht werden, dass man den anderen persönlich beleidigt oder diffamiert.
Die Grenzen der demokratischen Streitkultur unserer Gesellschaft müssen auch im
Internet Bestand haben.
Das Internet und
insbesondere das Web 2.0 dürfen nicht durch die Infantilität einiger Nutzer zum
virtuellen Pranger verkommen. Es gilt daher, mehr Fairness walten zu lassen, das
Internet insgesamt zu zivilisieren und nicht den Pöblern zu überlassen. Auf das
der nächste Shitstorm zu dem wird was er von jeher sein sollte: ein herbstlicher
Sturm im Wasserglas.
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