Montag, 27. Juli 2015

Gehen oder Stehen

Gehen oder Stehen
Zwischen Kult und Kommerz: Das Ampelmännchen geht seinen Weg

Der Durchschnittsdeutsche neigt im Allgemeinen zum regelkonformen Verhalten. Besonders gut lässt sich dieses Phänomen an einer x-beliebigen Fußgängerampel beobachten: Ganz vorbildlicher Staatsbürger, bleibt er selbst dann vor dem roten Ampelmännchen, pardon, der rot geschalteten Lichtzeichenanlage stehen, wenn spät in der Nacht kein Auto in Sicht ist und nachahmungswillige Kinder längst in ihren Betten schlummern.

Gesetz ist nun einmal Gesetz und Recht muss Recht bleiben, auch wenn es sich hier „nur“ um die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung handelt. Das Erbe des obrigkeitsgläubigen „Untertanen“, von Heinrich Mann in seinem gleichnamigen Roman einst treffend charakterisiert, lässt sich anhand des gesetzestreuen Verhaltens, das sich über Generationen hinweg nur marginal verändert hat, an jeder roten Ampel neu bestaunen.

Die Geschichte der Fußgängerampeln hat infolge der deutschen Teilung indes eine unterschiedliche Entwicklung genommen. Der dürre West-Ampelmann ist seinem ostdeutschen Pendant rein zahlenmäßig zwar weit überlegen; dafür verfügt das grün-rote Strichmännchen im Gegensatz zum Ost-Ampelmann über keinerlei Charme und besitzt wegen der kleineren Lichtfläche im wahrsten Sinne des Wortes nur über eine geringe „Ausstrahlung“.

Denn das von dem Berliner Erfinder Karl Peglau entworfene Ost-Ampelmännchen besitzt viel Fläche für rotes und grünes Licht und ist daher besser zu erkennen als der West-Ampelmann. Darüber hinaus trägt das Ampelmännchen der früheren DDR einen Hut und ist dadurch per se eine kultige Erscheinung. Peglau wurde dabei offenbar durch Staats-
chef Erich Honecker inspiriert, der sich im Sommer gern mit einem Strohhut zeigte.

Berliner Wahrzeichen: das Ampelmännchen
Nach dem Mauerfall drohte dem Ost-Ampelmann ein ähnliches Schicksal wie so manch unrentablem Betrieb: Das Ampelmännchen der DDR wurde sukzessive zugunsten seines schlankeren West-Kollegen ersetzt. Doch es regte sich Widerstand, eines der wenigen, wirklich sympathischen Gesichter des Sozialismus so einfach abzuwickeln. Mit Erfolg - seit 2005 regelt der Ossi mit Hut auch in den West-Berliner Bezirken routiniert den Verkehr. 

2014 erreichte dann die Genderdebatte sowohl das West- als auch das Ost-Ampelmännchen. Diese sind, der Name sagt es ja bereits, durchweg männlich, und im Sinne der Gleichstellungsdebatte unzeitgemäß maskulin. So wurden in Dortmund weibliche Ampelfrauen, die es in Zwickau und Dresden längst gibt, ernsthaft diskutiert; das Vorhaben wurde allerdings von der Dortmunder Stadtverwaltung abgeschmettert.

Auch im Berliner Bezirk Mitte sprach sich die Gleichstellungsbeauftragte für eine paritätische Aufteilung männlicher und weiblicher Ampelfiguren aus. Auf diese Weise solle die Diskriminierung von Frauen abgestellt werden. Zuletzt wurden in Berlin sogar schwule und lesbische Ampelfiguren gefordert, die als Ampelpärchen für mehr Toleranz und Akzeptanz werben sollten. Da fragt man sich schon mal, ob es nicht drängendere Probleme in den Städten gibt.

Der Versuch, mit Ampelfiguren gesellschaftliche und politische Statements ausdrücken zu wollen, erscheint reichlich albern; Gleichberechtigung und mehr Toleranz lassen sich kaum mit einer wie auch immer gearteten Ampel verwirklichen. Bei Fußgängerampeln geht es doch eigentlich nur um eines: „Gehen oder Stehen.“ Ampeln regeln den Verkehr und das kultige Ost-Ampelmännchen tut dies auf seine eigene Weise.

Das Ost-Ampelmännchen hat inzwischen sogar Karriere gemacht: Es wurde durch einen cleveren Geschäftsmann als Nostalgiefigur entdeckt, patentrechtlich geschützt und wird heute in mittlerweile sechs Berliner Shops perfekt vermarktet. T-Shirts, Schlüsselanhänger und Kaffeetassen werden mit dem beliebten Konterfei des Ampelmanns gehandelt, der sich immer mehr zu einem echten Berliner Wahrzeichen mausert.

Werden Sie, werter Leser, nach dieser wechselvollen Geschichte, nun endlich mehr Respekt vor dem Ampelmännchen haben und bei rot auch tatsächlich stehen bleiben? 

Regelt routiniert den Verkehr: der Ampelmann