Gehen oder Stehen
Zwischen Kult und
Kommerz: Das Ampelmännchen geht seinen Weg
Der Durchschnittsdeutsche neigt im Allgemeinen zum
regelkonformen Verhalten. Besonders gut lässt sich dieses Phänomen an einer
x-beliebigen Fußgängerampel beobachten: Ganz vorbildlicher Staatsbürger, bleibt
er selbst dann vor dem roten Ampelmännchen, pardon, der rot geschalteten Lichtzeichenanlage stehen, wenn spät in
der Nacht kein Auto in Sicht ist und nachahmungswillige Kinder längst in ihren
Betten schlummern.
Gesetz ist nun einmal Gesetz und Recht muss Recht bleiben,
auch wenn es sich hier „nur“ um die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung
handelt. Das Erbe des obrigkeitsgläubigen „Untertanen“, von Heinrich Mann in
seinem gleichnamigen Roman einst treffend charakterisiert, lässt sich anhand
des gesetzestreuen Verhaltens, das sich über Generationen hinweg nur marginal
verändert hat, an jeder roten Ampel neu bestaunen.
Die Geschichte der Fußgängerampeln hat infolge der deutschen
Teilung indes eine unterschiedliche Entwicklung genommen. Der dürre West-Ampelmann
ist seinem ostdeutschen Pendant rein zahlenmäßig zwar weit überlegen; dafür verfügt
das grün-rote Strichmännchen im Gegensatz zum Ost-Ampelmann über keinerlei
Charme und besitzt wegen der kleineren Lichtfläche im wahrsten Sinne des Wortes
nur über eine geringe „Ausstrahlung“.
Denn das von dem Berliner Erfinder Karl Peglau entworfene
Ost-Ampelmännchen besitzt viel Fläche für rotes und grünes Licht und ist daher
besser zu erkennen als der West-Ampelmann. Darüber hinaus trägt das Ampelmännchen
der früheren DDR einen Hut und ist dadurch per se eine kultige Erscheinung. Peglau
wurde dabei offenbar durch Staats-
chef Erich Honecker inspiriert, der sich im Sommer gern mit einem Strohhut zeigte.
chef Erich Honecker inspiriert, der sich im Sommer gern mit einem Strohhut zeigte.
Berliner Wahrzeichen: das Ampelmännchen |
Nach dem Mauerfall drohte dem Ost-Ampelmann ein ähnliches
Schicksal wie so manch unrentablem Betrieb: Das Ampelmännchen der DDR wurde
sukzessive zugunsten seines schlankeren West-Kollegen ersetzt. Doch es regte
sich Widerstand, eines der wenigen, wirklich sympathischen Gesichter des
Sozialismus so einfach abzuwickeln. Mit Erfolg - seit 2005 regelt der Ossi mit
Hut auch in den West-Berliner Bezirken routiniert den Verkehr.
2014 erreichte dann die Genderdebatte sowohl das West- als
auch das Ost-Ampelmännchen. Diese sind, der Name sagt es ja bereits, durchweg männlich, und im Sinne der
Gleichstellungsdebatte unzeitgemäß maskulin. So wurden in Dortmund weibliche
Ampelfrauen, die es in Zwickau und Dresden längst gibt, ernsthaft diskutiert;
das Vorhaben wurde allerdings von der Dortmunder Stadtverwaltung
abgeschmettert.
Auch im Berliner Bezirk Mitte sprach sich die Gleichstellungsbeauftragte
für eine paritätische Aufteilung männlicher und weiblicher Ampelfiguren aus.
Auf diese Weise solle die Diskriminierung von Frauen abgestellt werden. Zuletzt
wurden in Berlin sogar schwule und lesbische Ampelfiguren gefordert, die als Ampelpärchen
für mehr Toleranz und Akzeptanz werben sollten. Da fragt man sich schon mal, ob
es nicht drängendere Probleme in den Städten gibt.
Der Versuch, mit Ampelfiguren gesellschaftliche und
politische Statements ausdrücken zu wollen, erscheint reichlich albern;
Gleichberechtigung und mehr Toleranz lassen sich kaum mit einer wie auch immer
gearteten Ampel verwirklichen. Bei Fußgängerampeln geht es doch eigentlich nur
um eines: „Gehen oder Stehen.“ Ampeln regeln den Verkehr und das kultige Ost-Ampelmännchen
tut dies auf seine eigene Weise.
Das Ost-Ampelmännchen hat inzwischen sogar Karriere gemacht:
Es wurde durch einen cleveren Geschäftsmann als Nostalgiefigur entdeckt, patentrechtlich
geschützt und wird heute in mittlerweile sechs Berliner Shops perfekt
vermarktet. T-Shirts, Schlüsselanhänger und Kaffeetassen werden mit dem
beliebten Konterfei des Ampelmanns gehandelt, der sich immer mehr zu einem
echten Berliner Wahrzeichen mausert.
Werden Sie, werter Leser, nach dieser wechselvollen
Geschichte, nun endlich mehr Respekt vor dem Ampelmännchen haben und bei rot auch
tatsächlich stehen bleiben?
Regelt routiniert den Verkehr: der Ampelmann |
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