Montag, 25. Mai 2015

Moderne Völkerwanderung

Moderne Völkerwanderung
Flüchtlingsströme und Armutsmigration halten derzeit Europa in Atem

Nicht nur an der unmittelbaren Außengrenze zur Europäischen Union, im Mittelmeer, sind in diesen Wochen dramatische Fluchtbewegungen zu beobachten; auch in Südostasien haben sich Tausende Bootsflüchtlinge aufgemacht, um Krieg, Armut, Verfolgung und Elend gegen ein Leben in Frieden und Freiheit einzutauschen. Das Risiko der oft lebensgefährlichen Überfahrten nehmen die Menschen dabei bewusst in Kauf.

Hier wie dort sind es skrupellose Schlepperorganisationen, die sich an dem  Flüchtlings-elend bereichern und Flüchtlinge nicht selten auf besseren „Nussschalen“ und Schlauchbooten auf die Überfahrt in eine ungewisse Zukunft schicken. In diesem Frühjahr gab es beinah täglich Meldungen, die von havarierten Booten und dramatischen Rettungsaktionen in Seenot geratener Flüchtlingen kündeten.

Zahlreiche Boote kenterten bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Allein am 18. April diesen Jahres ertranken über 700 Flüchtlinge im Meer, nur wenige Menschen konnten aus den Fluten gerettet werden. Schätzungen der EU gehen davon aus, dass allein in Libyen bis zu eine Millionen Menschen auf ihre Passage nach Europa warten. Die „Festung Europa“ wird unterdessen weiter von der EU ausgebaut. 

Die Migrationsbewegungen entfalten durch die Benutzung moderner Verkehrsmittel (Flugzeug, Bahn, Auto) eine besondere Dynamik. Denn längst nicht alle Flüchtlinge gelangen auf dem gefährlichen und strapaziösen Seeweg nach Europa. Doch eben jene Bootsflüchtlinge sind es, welche die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit derzeit besonders erregen und die europäischen Institutionen zum Handeln auffordern.

Schaut man in die Geschichtsbücher, so wird man Parallelen erkennen, die dazu berechtigen, dass man von einer modernen Völkerwanderung sprechen kann. Der Historiker Karl Schlögel hat die Erde einmal als „Planet der Nomaden“ bezeichnet, da das Leben auf ihr seit Anbeginn von Wanderungsbewegungen bestimmt ist. Schon früher sind die Menschen ausgewandert, um in der Fremde ihr Heil zu suchen.

Die erste Wanderungswelle der Menschheit stellt die Auswanderung des Homo sapiens aus Afrika vor rund 100.000 Jahren dar. In der Antike kam es infolge der Ausdehnung des Römischen Reiches durch Kriege und Eroberungen zu gewaltigen Bevölkerungs-verschiebungen und Wanderungswellen. Die große Völkerwanderung in Europa datiert 
aus dem 4.-6. Jahrhundert und wurde zum festen Epochenbegriff.

Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde, heute ein
Übergangswohnheim für Flüchtlinge und Asylbewerber

Vom 16. bis ins 20. Jahrhundert schließlich vollzog sich ein beispielloser
Migrantenstrom: Die Menschen kehrten dem armen, von Unfreiheit geprägten Europa den Rücken und wanderten in die „Neue Welt“ Amerikas aus. All dies belegt: Solang es Menschen gibt, war ein Teil von ihnen auf der Wanderung in Regionen, die bessere Lebensbedingungen versprachen; derzeit sind weltweit Millionen auf der Flucht.

Dabei sind die Motive für die Auswanderung ebenso verschieden wie die Menschen selbst. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die meisten Flüchtlinge ganz einfach von einem besseren Leben träumen - und wer will ihnen das verdenken? Dass durch Migration Grenzen überschritten werden ist dabei ebenso zwangsläufig wie banal. Und genau hier, in den Aufnahmestaaten, beginnt das Problem mit der Migration.

Denn die Zuwanderer sehen sich an ihrem neuen Ort nicht selten mit Vorurteilen und Ängsten konfrontiert. Migration verändert die Zusammensetzung von Gesellschaften. Die Kommunen in den Aufnahmeländern werden dabei nicht selten an die Grenzen ihrer finanziellen Belastbarkeit gebracht. Und doch wird man Zuwanderung als eine historische Realität anerkennen müssen, die sich kaum wirksam begrenzen lässt.

Die Zielstaaten der Migration müssen daher humane Antworten auf die derzeitige Herausforderung einer neuen, globalen Völkerwanderung finden.



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