Wenn Minister irren
25 Jahre „Gscheidle-Irrtum“:
Wie ein Postminister in Erklärungsnot geriet
Postminister gehören einer politischen Spezies an, die
unlängst ausgestorben ist. Zu ihren Aufgaben gehörte die politische Leitung des
einstmals staatlichen Post- und Fernmeldewesens. Mit der Privatisierung von
Post und Telekom in den 90er Jahren wurden die meisten staatlichen Aufgaben der
Behörde obsolet. Das Bundesministerium für Post und Telekommunikation wurde
infolgedessen 1997 aufgelöst.
Der Postminister war fortan nicht mehr fester Bestandteil
einer Bundesregierung. Ein Blick in die Geschichte des Postministeriums offenbart,
dass zahlreiche prominente Politiker als Postminister wirkten: illustre
Persönlichkeiten wie Richard Stücklen, Georg Leber, Horst Ehmke und Christian Schwarz-Schilling
waren darunter. Meist war das Ressort des Postministers ein Sprungbrett für
höhere politische Weihen.
Nicht so im Fall des schwäbischen SPD-Politikers Kurt
Gscheidle (1924-2003), der von 1974 bis 1982 Postminister im Kabinett Helmut
Schmidts war. Gscheidle dürfte als Politiker heute weithin vergessen sein, sein
posthumer Ruhm rührt allein durch den nach ihm benannten, sogenannten
„Gscheidle-Irrtum“. Kurt Gscheidle hat es damit sogar bis ins Museum gebracht,
aber der Reihe nach.
Kurz vor der Eröffnung der XXII. Olympischen Sommerspiele von
Moskau sollte im April 1980 eine Sonderbriefmarke unter dem Titel „Olympiafahne
1980“ erscheinen. Aufgrund des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan boykottierte
allerdings ein Großteil der Staatengemeinschaft die Olympiade; die Briefmarke
wurde daher nicht herausgegeben und alle bereits produzierten Bestände wieder eingestampft.
Der „Gscheidle-Irrtum“ im
Museum: Briefmarken der Serie
„Olympiafahne 1980“ im Museum für Kommunikation,
Berlin
|
Nach damals üblicher Praxis waren dem Postminister vorab
einige Bögen der Briefmarken als Vorausexemplar zugestellt worden. Diese
wanderten durch ein Versehen Gscheidles in den privaten Schreibtisch des
Ministers, wo sie zwischenzeitlich in Vergessenheit gerieten. Die Ehefrau des
Ministers, Elisabeth Gscheidle, brachte die ungültigen Marken dann ab 1982 in
Umlauf - und den „Gscheidle-Irrtum“ in die Welt.
Frau Gscheidle, offenbar ganz sparsame Schwäbin, ahnte
nichts von der postamtlichen Ungültigkeit der Briefmarken. Sie versendete gut
zwei Dutzend der Marken für private Zwecke und löste Jahre später, ganz unfreiwillig, in
der Briefmarkenszene große Erregung aus. Kurt Gscheidle, 1982 schon nicht mehr
im Amt, dürfte durch den folgenreichen Schreibtischfund in arge Erklärungsnot
geraten sein.
Die Seltenheit des offiziell nicht existenten
Postwertzeichens sorgte dafür, dass Sammler in den vergangenen Jahren auf
Auktionen große Summen für die Olympiabriefmarken bezahlten. So wurde eine Briefmarke
aus dem Gscheidle-Fundus 2010 für 26.000 Euro versteigert; ein anderes
Exemplar, das auf einer Postkarte versendet wurde, erzielte auf einer Auktion
mit 85.000 Euro den bislang höchsten Erlös.
Eine Marke, mit der Frau Gscheidle eine Postkarte für ein
Preisausschreiben frankierte, bescherte ihr immerhin eine Polaroid-Kamera als
Gewinn. Angesichts der exorbitanten Wertsteigerung der Gscheidle-Marken war
dies rückblickend wohl nur ein schwacher Trost. Immerhin: Ohne den „Gscheidle-Irrtum“
wäre die Philatelie heute sowohl um eine Briefmarken-Rarität als auch um eine
launige Anekdote ärmer.
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