Das Lächeln der Mona Lisa
Viele Museumsbesucher sehen die Welt nur noch durch die
Sucher ihrer Videokameras
Das geheimnisvolle Lächeln
der „Mona Lisa“ und ihr herausfordernder Blick sind legendär. „Mona Lisa“,
gemalt vom italienischen Meister Leonardo da Vinci (1452-1519), ist das wohl berühmteste
Gemälde der Welt. Es hängt im Pariser Louvre und hat dort einen Ehrenplatz. Tausende
Museumsbesucher defilieren täglich an der alten Dame vorbei und viele sind wohl
nur ihretwegen gekommen.
Neulich wurde ich im Louvre
Zeuge einer fragwürdigen Entwicklung in vielen Museen dieser Welt, welche die
Benutzung von Fotoapparaten und Videokameras in ihren Ausstellungsräumen
gestatten: Zahlreiche Besucher nehmen die ausgestellte Kunst nicht mehr mit ihren
eigenen Augen wahr, sondern „sehen“ die Exponate nur noch durch die Sucher
ihrer Videokameras und Smartphones.
Es wird gefilmt,
fotografiert und sich vor den Kunstwerken in Szene gesetzt als gäbe es kein
Morgen mehr. Auf Bildinhalte wird kaum geachtet, denn der Museumsbesucher
degradiert sich freiwillig zu einem passiv beteiligten Kameramann, der sich nicht
mehr auf die eigenen Augen und den unmittelbaren, subjektiven Seheindruck
verlässt. Die Kunstbetrachtung degeneriert zum inhaltsleeren Event.
Insbesondere Besucher aus
dem ostasiatischen Kulturkreis, denen von Haus aus eine hohe Affinität zu
Videokameras und Technik zu Eigen ist, verlassen sich ganz darauf, die
dargestellte Kunst als Erinnerung für daheim abzufilmen, ohne diese je selbst
mit den eigenen Augen betrachtet zu haben. Der weltweite Siegeszug der
Smartphones hat die Tendenz zu einer ganz und gar verfilmten Welt noch
verstärkt.
Die gläserne Eingangspyramide des Louvre |
Dabei ist das menschliche Auge
ein Wunderwerk der Evolution: Es lässt uns sehen und alle Schönheit wie Hässlichkeit
in den schillerndsten Farben erkennen. Auch große Kunst können wir mit Hilfe
unseres Sehsinnes geradezu wörtlich „in Augenschein“ nehmen. Dass dies nicht
für alle Besucher gilt, dürfte auch an dem Hang vieler Museen liegen, ständig
große Massenevents zu produzieren.
Der Drang, alles abzufilmen,
in Echtzeit zu posten und für die Ewigkeit zu sichern, ist mittlerweile weit
verbreitet. Bei Rock- und Popkonzerten ist der Blick auf die Bühne angesichts
Hunderter in die Höhe gereckter Smarthphones zuweilen komplett verstellt. Viele
Konzertbesucher verlassen sich anscheinend nicht mehr auf die Unmittelbarkeit
ihrer eigenen, sinnlichen Wahrnehmung: Das Handy muss laufen!
Die Unmittelbarkeit des
Augenblicks, das flüchtige Face-to-Face, das bewusste im-Moment-Wahrnehmen
gehen dabei verloren. Auf diese Weise entsteht eine konstruierte Wirklichkeit,
welche die Welt und die Kunst mit den Augen der Technik neu fabriziert. Dass
das ständige Knipsen und Draufhalten viele „analoge“ Besucher stören könnte, kommt
den Technikfreaks dabei nicht in den Sinn.
Der „Mona Lisa“ könnte angesichts der
Menschenmassen, die einzig und allein zum Abfilmen der Kunst-Ikone in den
Pariser Louvre strömen, das eigentümliche Lächeln schon mal vergehen. Aber wer
weiß, vielleicht gefällt ihr die große Anteilnahme ja auch. Man unterschätze in
diesem Punkt die Eitelkeit der Frauen nicht. Und tatsächlich, sie lächelt ja
auch. Noch immer.
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