Der Besuch, der nicht gehen wollte
Was tun, wenn ein ungebetener Gast einfach nicht nach
Hause gehen will?
Es geschah gewissermaßen am
helllichten Tage. Ein neuer Arbeitskollege, der noch nicht lang in der Firma
war, kündigte sich telefonisch auf einen Besuch bei mir zu Hause an. Er sei
zufällig in der Nähe und würde gern „auf einen Sprung“ vorbeikommen; er wolle
auch gar nicht lange bleiben. Obwohl Spontaneität nicht gerade zu meinen Stärken
zählt, sagte ich zu. Ich sollte es bitter bereuen.
Nach dem Austausch der
gängigen Höflichkeitsfloskeln entspannte sich eine zunächst anregende Plauderei
über die Arbeit, Gott und die Welt. Nach einiger Zeit entglitt das Gespräch
allerdings: Die Unterhaltung nahm zusehends den Charakter eines nicht enden
wollenden Monologes meines Gegenübers an. Der Redefluss meines Gastes war nicht
zu bremsen; ich selbst kam kaum mehr zum Zug.
In den seltenen Atempausen
meines Kollegen grätschte ich rustikal-verbal in sein Selbstgespräch. Der Frevel,
den ich damit begangen hatte, wurde von ihm umgehend mit einem gestrengen Blick
quittiert. Mein Besuch hörte mir indes gar nicht zu, sondern wartete allenfalls
auf die Gelegenheit, selbst wieder das Wort zu ergreifen. Die Unterhaltung war
endgültig zur Einbahnstraße geworden.
Die Neigung meines
Arbeitskollegen zum Monologisieren war mir bislang nicht aufgefallen - okay,
wir kannten uns ja auch kaum. Irgendwie tat er mir in seinem unaufhörlichen
Redeschwall auch leid und mir kam ein Artikel über abnehmende soziale Bindungen
in den Sinn, den ich vor Kurzem gelesen hatte. Als ob das alles nicht schon genug
wäre, bewies mein Gast zusehends Sitzfleisch.
Ja, mein Arbeitskollege
dachte gar nicht daran zu gehen. Unaufhörlich reihte er eine Anekdote an die
nächste um schließlich die Anamnese seines Facharztes für Darmenderkrankungen in
allen unerquicklichen Details auszubreiten. Seine Sesshaftigkeit fand einfach
kein Ende. Also beschloss ich, meiner zunehmenden Müdigkeit durch auffälliges
Gähnen Ausdruck zu verleihen.
Das Sofa: Schauplatz eines denkwürdigen Geschehens |
Keine Reaktion. Mein Gast
blieb stur in seiner Sofaecke hocken. Und redete und redete. Ich erinnerte mich
an einen Film aus der Guido-Knopp-Reihe „Hitler - Eine Bilanz“. Dort war von
der Neigung des „Führers“ die Rede, sein Gefolge auf dem Obersalzberg mit stundenlangen
Monologen über vegetarische Kost, Hundeerziehung und der perfekten Ausrichtung
eines Sturmgeschützes zu quälen.
Gut, dachte ich, die
Entourage des „Führers“ hatte es nicht besser verdient. Aber ich? Ich
beschloss, einen Gang zuzulegen, öffnete demonstrativ die Fenster, brachte unter
lautem Geschepper Gläser und Geschirr in die Küche und erwähnte ganz beiläufig die
fortgeschrittene Uhrzeit. Keine Reaktion. Er redete und blieb. Er blieb und
redete. Alles wie gehabt: Kein Wink mit dem Zaunpfahl zeigte Wirkung.
Was für ein Dilemma:
Einerseits wollte ich, dass mein Gast endlich das Weite suchte, andererseits
wollte ich auch nicht unhöflich erscheinen, er ist schließlich mein
Arbeitskollege. Also erwähnte ich, dass ich noch etwas ganz Dringendes im
Arbeitszimmer zu erledigen hätte. „Ja, ja. Mach nur. Lass dich nicht stören!“
entgegnete er mir mit entwaffnender Direktheit. Nun war ich endgültig ratlos.
Nach einer weiteren halben
Stunde, die mich vollends zermürbt, ermattet und demoralisiert zurückließ,
stand mein Kollege schließlich auf, drückte mir die Hand und sagte: „Ein schöner
Abend. Das sollten wir bald mal wiederholen!“ „Unbedingt!“ heuchelte ich und
hasste mich noch im selben Moment für meine unbedachte Äußerung. Inzwischen war
es stockfinstere Nacht geworden.
Der Albtraum war zu Ende, ich
war am Ende: Mein Besuch, der nicht gehen wollte - er ging.
Bei ungeladenen Gästen muss man manchmal einfach die Höflichkeit vergessen. Sie kommen vorbei, werden bewirtet und dies gerne. Da die Zeit aber anders verplant wurde schmeiße ich solche "Gäste" auch schon mal raus. Mit ein wenig Übung geht das, wirklich. Egal ob Kollege oder nicht.
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