Samstag, 28. Dezember 2013

Der Besuch, der nicht gehen wollte

Der Besuch, der nicht gehen wollte
Was tun, wenn ein ungebetener Gast einfach nicht nach Hause gehen will?

Es geschah gewissermaßen am helllichten Tage. Ein neuer Arbeitskollege, der noch nicht lang in der Firma war, kündigte sich telefonisch auf einen Besuch bei mir zu Hause an. Er sei zufällig in der Nähe und würde gern „auf einen Sprung“ vorbeikommen; er wolle auch gar nicht lange bleiben. Obwohl Spontaneität nicht gerade zu meinen Stärken zählt, sagte ich zu. Ich sollte es bitter bereuen.

Nach dem Austausch der gängigen Höflichkeitsfloskeln entspannte sich eine zunächst anregende Plauderei über die Arbeit, Gott und die Welt. Nach einiger Zeit entglitt das Gespräch allerdings: Die Unterhaltung nahm zusehends den Charakter eines nicht enden wollenden Monologes meines Gegenübers an. Der Redefluss meines Gastes war nicht zu bremsen; ich selbst kam kaum mehr zum Zug.

In den seltenen Atempausen meines Kollegen grätschte ich rustikal-verbal in sein Selbstgespräch. Der Frevel, den ich damit begangen hatte, wurde von ihm umgehend mit einem gestrengen Blick quittiert. Mein Besuch hörte mir indes gar nicht zu, sondern wartete allenfalls auf die Gelegenheit, selbst wieder das Wort zu ergreifen. Die Unterhaltung war endgültig zur Einbahnstraße geworden.  

Die Neigung meines Arbeitskollegen zum Monologisieren war mir bislang nicht aufgefallen - okay, wir kannten uns ja auch kaum. Irgendwie tat er mir in seinem unaufhörlichen Redeschwall auch leid und mir kam ein Artikel über abnehmende soziale Bindungen in den Sinn, den ich vor Kurzem gelesen hatte. Als ob das alles nicht schon genug wäre, bewies mein Gast zusehends Sitzfleisch.

Ja, mein Arbeitskollege dachte gar nicht daran zu gehen. Unaufhörlich reihte er eine Anekdote an die nächste um schließlich die Anamnese seines Facharztes für Darmenderkrankungen in allen unerquicklichen Details auszubreiten. Seine Sesshaftigkeit fand einfach kein Ende. Also beschloss ich, meiner zunehmenden Müdigkeit durch auffälliges Gähnen Ausdruck zu verleihen.

Das Sofa: Schauplatz eines denkwürdigen Geschehens

Keine Reaktion. Mein Gast blieb stur in seiner Sofaecke hocken. Und redete und redete. Ich erinnerte mich an einen Film aus der Guido-Knopp-Reihe „Hitler - Eine Bilanz“. Dort war von der Neigung des „Führers“ die Rede, sein Gefolge auf dem Obersalzberg mit stundenlangen Monologen über vegetarische Kost, Hundeerziehung und der perfekten Ausrichtung eines Sturmgeschützes zu quälen.

Gut, dachte ich, die Entourage des „Führers“ hatte es nicht besser verdient. Aber ich? Ich beschloss, einen Gang zuzulegen, öffnete demonstrativ die Fenster, brachte unter lautem Geschepper Gläser und Geschirr in die Küche und erwähnte ganz beiläufig die fortgeschrittene Uhrzeit. Keine Reaktion. Er redete und blieb. Er blieb und redete. Alles wie gehabt: Kein Wink mit dem Zaunpfahl zeigte Wirkung.

Was für ein Dilemma: Einerseits wollte ich, dass mein Gast endlich das Weite suchte, andererseits wollte ich auch nicht unhöflich erscheinen, er ist schließlich mein Arbeitskollege. Also erwähnte ich, dass ich noch etwas ganz Dringendes im Arbeitszimmer zu erledigen hätte. „Ja, ja. Mach nur. Lass dich nicht stören!“ entgegnete er mir mit entwaffnender Direktheit. Nun war ich endgültig ratlos.

Nach einer weiteren halben Stunde, die mich vollends zermürbt, ermattet und demoralisiert zurückließ, stand mein Kollege schließlich auf, drückte mir die Hand und sagte: „Ein schöner Abend. Das sollten wir bald mal wiederholen!“ „Unbedingt!“ heuchelte ich und hasste mich noch im selben Moment für meine unbedachte Äußerung. Inzwischen war es stockfinstere Nacht geworden.

Der Albtraum war zu Ende, ich war am Ende: Mein Besuch, der nicht gehen wollte - er ging.  
  

1 Kommentar:

  1. Bei ungeladenen Gästen muss man manchmal einfach die Höflichkeit vergessen. Sie kommen vorbei, werden bewirtet und dies gerne. Da die Zeit aber anders verplant wurde schmeiße ich solche "Gäste" auch schon mal raus. Mit ein wenig Übung geht das, wirklich. Egal ob Kollege oder nicht.

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