Alle gegen Amazon
Wie viel bringen
Boykott-Aufrufe gegen den Online-Händler Amazon wirklich?
Nach der kürzlich in der ARD ausgestrahlten Dokumentation
über ausländische Leiharbeiter bei Amazon ist ein Shitstorm über den US-Konzern
hereingebrochen. Aufgebrachte Konsumenten hinterließen zu Hunderten wütende
Kommentare auf der Facebook-Seite des Konzerns, die bis heute immerhin 2,8
Millionen „Fans“ zählt.
Besonders empört reagierten die meisten Kunden über
menschenunwürdige Unterkünfte, miese Bezahlung und die generell prekären
Arbeitsbedingungen bei Amazon. Viele Beschäftigte leben dem Bericht zufolge in
Massenunterkünften und wurden dort zum Teil von einem zwielichtigen
Sicherheitsdienst drangsaliert.
Viele Kommentare auf Amazons Facebook-Seite wurden mit dem
Hinweis versehen, die Firma in Zukunft zu boykottieren und „nie wieder“ etwas bestellen
zu wollen. Auch haben viele Amazon-Kunden angekündigt, ihren Account bei dem
E-Commerce-Riesen ganz zu löschen, was ungefähr aufs selbe rauskommt.
Bei rund 16,7 Millionen Amazon-Kunden in Deutschland (2009) dürfte
ihre Zahl allerdings nicht sonderlich ins Gewicht fallen, zumal vielen Kunden
die Sorgen der Amazon-Beschäftigten einigermaßen egal sind. Aber wie ernst sind
Boykott-Aufrufe gegen Konzerne generell zu nehmen?
Enden die guten Vorsätze nicht spätestens an der
Schnäppchen-Kasse beim nächsten, unwiderstehlichen Super-Sonderangebot? Geiz
ist ja bekanntlich „geil“ und lässt über so manch Unbill hinwegsehen. Nur die
wenigsten Kunden sind wirklich konsequent und lassen ihren oft großspurigen
Ankündigungen Taten folgen.
Muss im Fall Amazon nun mit einem massiven Kunden-Boykott gerechnet
werden? Wohl eher nicht. Denn Amazon ist mit seinem umfassenden Angebot, niedrigen
Preisen, generösen Lieferbedingungen und einer hohen Kundenzufriedenheit auf
dem deutschen Online-Markt so gut wie konkurrenzlos.
Das moralische Aufbegehren gegen offensichtliche Missstände
ist - ähnlich wie bei einem Shitstorm - ein zumeist kurzlebiges Phänomen. Sobald
sich der erste Ärger gelegt hat, gewinnen wieder altbekannte Verhaltensmuster
die Oberhand: Bequemlichkeit, Gewohnheit und vor allem die der menschlichen
Natur innewohnende Trägheit.
Die Halbwertzeit öffentlicher Entrüstungszustände beträgt
meist nur wenige Wochen. Der Egoismus der Konsumenten überflügelt den
flüchtigen, moralischen Rigorismus zudem rasch; insbesondere dann, wenn das
betroffene Unternehmen Besserung gelobt und die schlimmsten Auswüchse schnell
zu beseitigen verspricht.
Der Philosoph Immanuel Kant hat das Grundprinzip seiner
Ethik, den kategorischen Imperativ, einst mit den Worten definiert: „Handle nur
nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein
allgemeines Gesetz werde.“ Das ist wohl gesprochen und könnte auch für das Verbraucherverhalten
im Fall Amazon gelten.
Die Kunden könnten durch massenhaften Boykott und
öffentlichen Druck bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon zu einem „allgemeinen
Prinzip“ erheben und das Unternehmen zum Wohle der Beschäftigten zu Änderungen
zwingen. Denn die Konsumenten verfügen nicht nur über Macht - sie haben auch
eine Mitverantwortung.
Aber das ist alles graue Theorie, denn aus Kritik entwickelt
sich nur in den seltensten Fällen ein handfester Boykott. Die Skandale um Aldi,
Lidl, H&M oder Apple lassen grüßen. Insoweit bringen Boykott-Aufrufe gegen
Amazon wohl leider herzlich wenig. Trotz Kants kategorischem Imperativ.
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