Schröders Meisterstück
Die Agenda 2010 wird zehn Jahre alt
Als Bundeskanzler Gerhard
Schröder am Morgen des 14. März 2003 in einer Regierungserklärung ein
Reformprogramm mit dem sperrigen Titel „Agenda 2010“ ankündigte, ahnte wohl
niemand, welch tiefgreifende Einschnitte in den Sozialstaat damit verbunden sein
würden. Deutschland galt damals mit 4 Millionen Arbeitslosen als der
reformunfähige, „kranke Mann Europas“.
Heute, zehn Jahre später,
steht die Bundesrepublik - darin sind sich die meisten Beobachter einig - auch
dank der Agenda 2010 wirtschaftlich gut da. Insbesondere der Vergleich mit den
Volkswirtschaften Frankreichs, Englands oder Italiens belegt, dass die
Strukturreformen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erfolgreich waren.
Deutschland hat gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt.
Doch worum ging es bei der
Agenda 2010? Zunächst wurde durch eine Neuordnung der Bundesagentur für Arbeit angestrebt,
die Menschen schneller in Arbeit zu bringen. Neben Reformen bei Zeitarbeit, Ich-AGs,
Mini-Jobs und Kündigungsschutz bestand das Kernstück der Agenda aber vor allem in
der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Insbesondere die Verkürzung
der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf 18 bzw. 12 Monate und der damit
verbundene Absturz in das vom Volksmund rasch „Hartz IV“ titulierte ALG II erregten
den Volkszorn. Für weite Teile des deutschen Mittelstandes war Hartz IV fortan das
personifizierte Menetekel einer tiefsitzenden Abstiegsangst; die Parole
„Fördern und Fordern“ klang da wie blanker Hohn.
Für die SPD brachen mit der
Durchsetzung der Agenda schwere Zeiten an: Machtverlust in den Ländern, Gründung
der Linkspartei und ein Vertrauensverlust in ihrer Kernkompetenz, der „sozialen
Gerechtigkeit“, der die Partei dauerhaft in ein 30-Prozent-Gefängnis einkerkerte.
Schröder hat mit der Agenda 2010 nicht nur der SPD und den Menschen viel
zugemutet; er hat seine Macht riskiert und 2005 verloren.
Was politisch richtig und
ökonomisch notwendig ist, ist eben meist nicht populär. Die Agenda 2010 enthielt
tatsächlich zahlreiche Unzulänglichkeiten; sie verteilte die
Zumutungen einseitig an die
Schwächsten im Land, denn Reiche wurden kaum belastet. Darüber hinaus wurden
prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Zeit- und Leiharbeit ausgeweitet, die
Schere zwischen Arm und Reich ist größer geworden.
Seit den Hartz-Reformen ist
der Druck auf Arbeitslose enorm gestiegen, das soziale Klima ist rauer geworden;
überall lauern nun Sanktionen. Und doch war die Agenda 2010 ein richtiger Schritt,
weil die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gestärkt und der Sozialstaat
wieder auf eine solide Grundlage gestellt wurde. Ohne die Reformen wäre
Deutschland wohl kaum so gut durch die Finanzkrise gekommen.
Auf kurze Sicht war die
Agenda 2010 ein Werk voller Zumutungen, Pannen und handwerklicher Fehler;
mittel- bis langfristig war sie ein Instrument, das die Arbeitsvermittlung beschleunigte,
die Sozialkassen entlastete und die Arbeitslosigkeit signifikant senkte. Der
Historiker Heinrich August Winkler hat das Reformwerk schon 2009 als eine
„überfällige Erneuerung des Sozialstaats“ gelobt. Zu Recht.
Ob Angela Merkel den Mut
dazu aufgebracht hätte? Wohl kaum. Was für Adenauer die Westintegration und
Brandt die Neue Ostpolitik war, gelang Helmut Kohl mit der Wiedervereinigung. Gerhard
Schröders herausragende Leistung war die Agenda 2010. Sein Name wird mit der Erneuerung
und nicht mit der Abschaffung des Sozialstaates verbunden sein, was oft
fälschlicherweise behauptet wird.
Die Agenda 2010 ist Schröders
Meisterstück - allen Schwächen und Fehlern zum Trotz.
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