Merkels Wendemanöver
Der permanente
Kurswechsel der Kanzlerin ist ein Wesensmerkmal ihrer Politik
Durch das Kommando „Klar zum Wenden!“ leitet man beim Segeln
ein Wendemanöver mit einem grundlegenden Richtungswechsel ein. Kurzzeitig kommt
dabei der Wind auch von vorne. Kanzlerin Merkel ist zwar nicht als eifrige Seglerin
bekannt; sie ist allerdings Gegenwind gewohnt und verfügt über eine große
Erfahrung auf dem Gebiet des politischen Richtungswechsels.
Kaum ein Gebiet war in den letzten Jahren vor der Sprunghaftigkeit
der Kanzlerin sicher. Ob Atom-Ausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht,
dreigliedriges Schulsystem oder zuletzt das Entgegenkommen bei der Homo-Ehe -
die Kanzlerin drängte ihre Partei immer wieder zu teilweise drastischen
180-Grad-Wenden und verwässerte dadurch den konservativen Markenkern der CDU immer
mehr.
Für ihre letzte Kehrtwende, die steuerliche Angleichung der Homo-Ehe
an die bürgerliche Ehe, erntete sie allerdings sowohl aus der Parteibasis als
auch aus der eigenen Fraktion massiven Widerstand. Sie wäre mit dieser Reform
zwar einem erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zuvorgekommen, hätte
damit aber auch den Parteitagsbeschluss zur Homo-Ehe aus dem Dezember 2012
kassiert.
Soviel Modernität ging wohl den meisten Mitgliedern der CDU entschieden
zu weit. Zeit für einen weiteren Rollback der Kanzlerin, die am vergangenen
Montag die Wende von der Wende einleitete, um sich nicht offen gegen große
Teile ihrer eigenen Anhängerschaft zu stellen. Diese fragte sich angesichts der
vergangenen Kehrtwenden was denn überhaupt noch konservativ an der CDU sei?
Merkel hat ihre Partei in den letzten Jahren durch die
Aufgabe zahlreicher traditioneller Positionen in die politische Mitte geführt.
Es gibt kaum noch ein Thema bei dem sich Regierung und Opposition fundamental voneinander
unterscheiden. Die letzte Bastion konservativer Beharrungskräfte - die traditionelle
Familien- und Gesellschaftspolitik - wäre zuletzt fast gefallen. Aber eben nur
fast.
Die Union hätte mit diesem neuerlichen Modernisierungsschub Rot-Grün
ein massives Wahlkampfproblem eigebrockt: Alte Feindbilder gegen eine vermeintlich
konservative CDU hätten nicht länger gezogen. Nun kann die Opposition die Union,
die in weiten Teilen rückständiger ist als die Mehrheit der Gesellschaft, noch
einmal in die reaktionäre Blockade-Ecke stellen.
Der permanente Kurswechsel der Kanzlerin gerät dabei immer
mehr zu einem Wesensmerkmal ihrer Politik, der es an Visionen und Perspektiven
mangelt; es regiert vielmehr ein nüchterner Pragmatismus. Die Union kann eine unentwegte
Wende-Politik vor eine ernste Zerreißprobe stellen. Merkels erneutes Wendemanöver
im Streit um die Homo-Ehe hat diesen Konflikt noch einmal kurzfristig beigelegt.
Die Kanzlerin würde vermutlich keine schlechte Figur beim
Segeln abgeben - mit Wendemanövern kennt sie sich ja bestens aus.
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