Freitag, 1. Februar 2013

Zeitalter der Beschleunigung


Zeitalter der Beschleunigung
Das moderne Leben wird immer hektischer und schneller. Stimmt das?

In seinem kürzlich erschienenen Buch „Die Zeit gehört uns. Widerstand gegen das Regime der Beschleunigung“ greift der katholische Sozialethiker Friedhelm Hengsbach eines der wohl drängendsten Probleme im persönlichen Leben vieler Zeitgenossen auf: das Gefühl, sich in einem immer schneller drehenden Rad aus Stress, Termindruck, Zeitnot und Hektik zu befinden.

Der Autor hat dafür den Begriff der „Beschleunigungsgesellschaft“ eingeführt, die alle Altersstufen und Lebensbereiche betrifft. Schon Kinder führen Terminkalender und hetzen zwischen Schule, Ballettunterricht und Nachhilfe hin und her. Der Arbeitstag von Erwachsenen ist nicht selten von Stress und einer hohen Arbeitsdichte geprägt; Überstunden und Schichtdienste gehören für viele zum Alltag.

Stress, Hektik, Leistungsdruck und Arbeitsdichte haben für die meisten Menschen in den vergangenen Jahren offenbar rapide zugenommen. „Höher, schneller und weiter“ ist daher nicht nur der Wahlspruch der Olympioniken; es ist vor allem das Mantra eines sich ständig beschleunigenden Finanzkapitalismus, der unmittelbar auf das Leben der Menschen durchgreift.

Für Hengsbach haben insbesondere die informationsgestützten Finanzmärkte seit Beginn des neuen Jahrtausends „einen Megaschub an gesellschaftlicher Beschleunigung“ angestoßen. Mit fatalen Folgen für die Menschen: die derart beschleunigte Arbeitswelt führt zu immer mehr psychosomatischen Erkrankungen, Schlaflosigkeit und dem mittlerweile fast allgegenwärtigen „Burnout-Syndrom“.

Der nun erschienene "Stressreport Deutschland 2012" bestätigt diesen Trend: Fast die Hälfte der Deutschen klagt über wachsenden Stress im Job. Verstärkt werden diese Phänomene durch allerlei technische Errungenschaften der vergangenen Jahre: Email, SMS, Mobiltelefone und Computer sorgen dafür, dass der moderne Mensch, der bei 300 Stundenkilometern telefonierend im ICE sitzt, nahezu ständig erreichbar ist.

Die Beschleunigung scheint also ein Wesensmerkmal der Neuzeit zu sein. Ausgehend vom Fernhandel des Mittelalters kam dieser Prozess mit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert in Gang und erfuhr im Computerzeitalter einen weiteren, dynamischen Schub. In den Megastädten der globalisierten Welt findet die Beschleunigung gegenwärtig ihre wohl markanteste Ausprägung.

Die Frage, ob das moderne Leben immer schneller und hektischer wird, ist allerdings nicht so ohne weiteres zu beantworten. Schon das wilhelminische Kaiserreich war von rastloser Unruhe geprägt; die Zeit um 1900 gilt nicht von ungefähr als die Ursprungszeit des modernen Tempos. Das „Hetzen und Jagen“ sollte zum charakteristischen Signum einer ganzen Epoche werden.

Der Historiker Joachim Radkau hat die Zeit um 1900 daher treffend als das „Zeitalter der Nervosität“ bezeichnet. Dass sich diese Entwicklung unter den Bedingungen des digitalen Zeitalters verschärft und mithin beschleunigt hat, leuchtet ein. Beschleunigung und Verdichtung sind zwei maßgebliche Schlüsselbegriffe der Moderne. Insofern leben wir wohl tatsächlich in einem Zeitalter der Beschleunigung.

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