Erkenne dich selbst!
Der ewige Kampf
zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung bestimmt unser Leben
Kein Show-Konzept der vergangenen Jahre war in Deutschland
ähnlich populär wie das der Casting-Show. Ob „Deutschland sucht den Superstar“,
„Popstars“ oder „X Factor“ - das Format der Casting-Show war zuletzt phänomenal
erfolgreich. Kein Wunder: das Konzept ist simpel und setzt auf frische,
unverbrauchte Gesichter die gegeneinander antreten und dabei zu vermeintlichen „Stars“
aufgebaut werden.
Neben den unzweifelhaft vorhandenen Show-Talenten, die auf
diese Weise entdeckt werden, leben die Casting-Shows aber nicht zuletzt von den
Minderbegabten. Viele dieser nicht selten peinlichen Gestalten, die neben einem
klitzekleinen Talent zumeist ein übergroßes Ego mitbringen, dürfen sich Woche
für Woche vor einer prominenten Jury und, noch schlimmer, einem
Millionenpublikum blamieren.
Vor allem junge Leute, die, so darf man vermuten,
weltabgeschirmt wie „kleine Prinzen“ erzogen wurden und für die erbärmlichsten
Darbietungen von ihren Eltern und Freunden noch über den grünen Klee gelobt
werden, machen sich dabei nicht selten zum Gespött einer sensationshungrigen
Öffentlichkeit, die nichts so sehr liebt wie die Talentfreien,
Möchtegern-Begabten und Angeber bloßzustellen.
Woran aber liegt es, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung der
Showteilnehmer in einem nachgerade grotesken Missverhältnis stehen? Offenbar
gibt es einen verbreiteten Hang, sich selbst und seine Fähigkeiten zu
überschätzen. Viele jungen Leute erhalten für schlechte Vorstellungen keine
wirklich angemessene Kritik; wo eine realistische Einschätzung angebracht wäre,
wird leichtfertig Applaus gespendet.
Dabei unterliegen wir alle einer permanenten Bewertung;
diese beginnt bereits im Kindergarten und endet erst mit der letzten
Beurteilung durch den Arbeitgeber. Der ständige Konkurrenzdruck der
Ellenbogengesellschaft hat aber offenkundig bei vielen Menschen zu Hybris und
einer völligen Verzerrung des eigenen Selbstbildes geführt. Selbst- und
Fremdwahrnehmung sind dabei nicht mehr im Gleichgewicht.
Blick in den Spiegel: eine Form der Selbstwahrnehmung |
Das Ergebnis dieser falschen Selbsteinschätzung zeigt sich nicht selten in einem ungerechtfertigten Selbstbewusstsein. Das „Auf-dicke-Hose-machen“ ist die Folge eines gesellschaftlichen Phänomens sich so teuer wie irgend möglich zu verkaufen - koste es was es wolle. Die eigenen Talente werden dabei nicht mehr selbstkritisch und nüchtern eingeschätzt: Everybody wants to be a Superstar!
Für die Berufswahl kann die fehlerhafte Selbsteinschätzung
fatale Folgen zeitigen, denn Arbeitnehmer mit unbegründetem Selbstbewusstsein
werden ihre mangelnde Qualifikation irgendwann zu spüren bekommen. Nur Theater
zu spielen, noch dazu talentfreies Schmierentheater, reicht eben auf Dauer
meistens nicht. Das andere Extrem stellen Menschen dar, die ihre eigenen
Talente systematisch unterschätzen.
Sie geraten aus mangelndem Selbstbewusstsein oder Trägheit
in einen Job, der sie permanent unterfordert. Diese Gruppe hat nie gelernt, die
eigenen Fähigkeiten auszuloten und zielgerichtet zu verfolgen. Unzufriedenheit,
Resignation und „Bore-out“ sind daher bei Personen verbreitet, die ihr Licht
beständig unter den Scheffel stellen. Benjamin Franklin nannte solche Menschen
einmal „Sonnenuhren im Schatten“.
Dass es bei vielen Menschen zu einer gravierenden Diskrepanz
zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung kommt ist allerdings nicht ungewöhnlich, da
niemand aus der eigenen Haut schlüpfen kann, um sich aus neutraler Perspektive
objektiv zu bewerten. Ein vernünftiges Verhältnis zwischen Selbstwahrnehmung
und Fremdeinschätzung hinzubekommen ist ja auch kein einfaches Unterfangen.
Wie so vieles im Leben will auch das gelernt sein, daher
gilt: Erkenne dich selbst!
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