Zeitalter der Selfies
Das
Smartphone-Selbstporträt ist ein typisches Signum unserer Zeit
An diesem Selfie kam nun wirklich niemand vorbei: Die
Moderatorin Ellen DeGeneres versammelte bei der diesjährigen Oscar-Verleihung
Stars wie Meryl Streep, Brad Pitt und Kevin Spacey zu einem
Smartphone-Selbstporträt um sich. Das Selfie avancierte auf Twitter zum
meistgeteilten Tweet aller Zeiten: Bis heute wurde das Foto etwa 3,5 Millionen
Mal von den Nutzern via Twitter weiterverbreitet.
Wirft man einen flüchtigen Blick in die sozialen Netzwerke,
so springen einem von jeder Seite selbsterstellte Smartphone- oder
Digicam-Fotos entgegen. Kein Zweifel: Das Selfie ist als Selbstporträt durch
seine massenhafte Verbreitung in den sozialen Netzwerken wie z. B. Facebook,
Google+, Pinterest, Tumblr oder Instagram eines der auffälligsten Internet-Phänomene
unserer Zeit.
Der Internet-Vordenker und Blogger Sascha Lobo sprach jüngst
gar von einem „Zeitalter der Selfieness“. Das ist in der einseitigen Fokussierung
auf das Internet gewiss übertrieben, gleichwohl steckt ein wahrer Kern hinter
dieser Aussage. Denn kaum ein Motiv teilen die Nutzer in den sozialen
Netzwerken so oft wie Bilder von sich selbst; das Internet wird durch Selfies zu
einem Medium der Selbstdarstellung:
Dabei ist das Selfie im engeren Sinne keine Erfindung des
Internet-Zeitalters. Die ersten Selbstfotos datieren aus der Zeit um 1900.
Schon damals nahmen Fotopioniere einen Spiegel zur Hilfe, um ihr Konterfei
aufzunehmen. Womit sich der Kreis zur Gegenwart schließt: Die Fotografie in den
Spiegel ist eine beliebte Spielart des heutigen Selfie, die sich mit einem Smartphone problemlos anfertigen lässt.
Geht man weiter in die Geschichte zurück, fallen einem
sofort die berühmten Selbstbildnisse Albrecht Dürers ein. Dessen Selbstporträts
gehören zu den Ikonen der Kunstgeschichte; sie zeigen den Nürnberger Meister in
unterschiedlichen Lebensstufen. Hätte Dürer ein Smartphone zur Hand gehabt, er
hätte vermutlich Hunderte Selfies von sich geschossen und in sozialen
Netzwerken gepostet.
Der Grund der massenhaften Verbreitung von Selfies ist simpel: Selfies sind in Sekundenschnelle produziert und lassen sich ebenso schnell über Social Media veröffentlichen. Sie werden als digitales Selbstbild bewusst angefertigt, um über das Internet weiteste Verbreitung zu finden. Die öffentliche Verbreitung der Selbstfotos ist somit ein elementares Wesensmerkmal der Selfies.
Dabei dient die flüchtige Momentaufnahme oft zur
Idealisierung der eigenen Person, denn viele Selfies sind mehr oder weniger schmeichelhafte
Darstellungen vom eigenen Ich. Durch das Selfie entwirft der Internetnutzer
nicht selten ein Bild von sich wie er von anderen gesehen werden möchte. Dabei
werden zuweilen auch anzügliche Posen öffentlich geteilt - nicht immer zur
Freude der Community.
Dass Selbstverliebtheit, Selbstbewunderung und Narzissmus dabei
häufig mit im Spiel sind ist wohl offenkundig. Vielfach entspricht das Selfie dem
Wunsch nach digitaler Aufmerksamkeit - im Zeitalter einer zunehmenden
Vereinsamung und Singularisierung des Einzelnen. Insoweit stellt das Selfie als
soziologisches Phänomen tatsächlich ein typisches Signum der Gegenwart dar.
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