Sonntag, 20. April 2014

Das süße Gift der Analogie

Das süße Gift der Analogie
Warum der unselige Hitler-Russland-Vergleich historisch unangemessen ist

Eigentlich war der Hitler-Russland-Vergleich Wolfgang Schäubles ja schon so gut wie aus der Welt. Doch nun legte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier nach und stützte die Aussagen des Bundesfinanzministers. Gegenüber der Welt erklärte Bouffier am vergangenen Freitag: „Wer einigermaßen die Dinge kennt, kann ernsthaft nicht bestreiten, dass es sich um ähnliche Muster handelt“.

Ende März hatte Schäuble in einem Gespräch mit Berliner Schülern Parallelen zwischen der Krim-Politik des russischen Präsidenten Putin und der Sudentenkrise aus dem Jahr 1938 gezogen. Wörtlich sagte Schäuble: „Das kennen wir alles aus der Geschichte. Solche Methoden hat schon der Hitler im Sudetenland übernommen - und vieles andere mehr.“ Der unselige Hitler-Russland-Vergleich war in der Welt.

Schäubles historische Analogie hatte zu heftiger Kritik im In- und Ausland geführt und diplomatische Verwicklungen nach sich gezogen. So hatte sich der russische Außenminister Lawrow beim deutschen Botschafter in Moskau über Schäuble beschwert; deutsche Diplomaten, die den Gesprächsfaden mit Russland derzeit aufrechterhalten, sprachen von einer erheblichen Belastung des Gesprächsklimas.

Schäuble hatte Hitler und Putin zwar nicht direkt miteinander verglichen; er hatte jedoch eine historische Analogie in den Methoden der Politiker erkannt. Hitler hatte die sudetendeutsche Minderheit 1938 instrumentalisiert, um aggressiv gegen die Tschechoslowakei vorgehen zu können; dasselbe Muster lasse sich nun in der Ukraine bei Putins Einsatz für die russische Minderheit auf der Krim beobachten. 

Wie deplatziert die historische Analogie Schäubles ist wird deutlich, wenn man sich die unterschiedlichen Intentionen der beiden Politiker vor Augen führt. Hitler hatte die Sudetenkrise vom Zaun gebrochen, um einen Grund für den lange geplanten Vernichtungskrieg zur Eroberung von „Lebensraum im Osten“ zu erhalten. Die Aggression gegen die Tschechoslowakei sollte der Auftakt zum Zweiten Weltkrieg sein.

Wladimir Putin ist aber Lichtjahre von einem irrationalen und größenwahnsinnigen Massenmörder wie Hitler entfernt. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Sowjetunion über 25 Millionen Tote im von Hitler entfesselten Krieg zu beklagen hatte. Putin selbst stammt aus Leningrad, jener Stadt, in der durch die deutsche Belagerung über eine Millionen Menschen starben - darunter Putins großer Bruder.

Der russische Präsident hat den Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 einmal als die „geopolitisch größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Den verlorenen Einfluss der früheren Supermacht auf der Krim, die jahrhundertelang zum russischen Staatsgebiet gehörte, versucht Putin nun durch eine Annexion der Halbinsel rückgängig zu machen; Putin forciert somit eine kühl kalkulierte Revisionspolitik.

Wie gesagt, Schäuble hat Hitler und Putin nicht direkt miteinander verglichen; aber schon der Vergleich vermeintlich ähnlicher Methoden reduziert sich infolge medialer Verkürzungsmechanismen auf die nachgerade absurde Hitler-Putin-Analogie. Der gewiefte Medienprofi Schäuble hätte das wissen müssen. Vom süßen Gift der historischen Analogie sollten Politiker daher in Zukunft Abstand nehmen.

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