Merkel und der Bumerang
Die Kanzlerin wurde in der NSA-Affäre erst aktiv,
nachdem sie selbst abgehört wurde
Der Bumerang ist ein
Sportgerät, der bei einem perfekten Wurf mit traumwandlerischer Sicherheit zu
seinem Ausgangspunkt zurückkehrt. Seitdem bekannt geworden ist, dass der
US-Geheimdienst das Diensthandy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört hat,
ist auch die NSA-Abhöraffäre wie ein Bumerang in die internationale Politik
zurückgekehrt. Dabei hatte die Bundesregierung die Vorwürfe des früheren Geheimdienstmitarbeiters
und Whistleblowers Edward Snowden zuvor wochenlang runtergespielt und
verharmlost.
Die im Sommer bekannt
gewordene Affäre war aus Sicht der Regierung spätestens mit der Erklärung von
Kanzleramtsminister Ronald Pofalla erledigt. Pofalla hatte nach einer Sitzung
des Parlamentarischen Kontrollgremiums verkündet, dass alle Abhörvorwürfe „vom
Tisch“ seien. Als Geheimdienstkoordinator und engster Mitarbeiter Angela Merkels
im Kanzleramt hätte er es vielleicht besser wissen müssen; auch Innenminister
Friedrich blies nur wenige Tage später ins selbe Horn und erklärte, dass alle
Verdächtigungen ausgeräumt seien. Beide Minister waren vor allem daran
interessiert, die leidige Affäre aus dem bevorstehenden Bundestagwahlkampf
herauszuhalten.
Die nun wieder ins
öffentliche Bewusstsein gelangte Abhörpraxis der NSA erreicht in diesen Tagen einen
vorläufigen Höhepunkt, zumal offenbar weitere Staatschefs von Lauschangriffen
betroffen sind. Die Abhöraffäre, die historisch ohne Beispiel ist, stellt auch
einen Tiefpunkt in der Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen dar.
„Geht man so mit einem befreundeten Bündnispartner um?“ war eine zuletzt häufig
gestellte Frage. „Natürlich nicht!“ lautet die einhellige Antwort, abhören dürfe
man schließlich nur Schurkenstaaten und Kriminelle - nicht aber Bündnispartner
und Freunde. Dass ein deutscher Außenminister den Botschafter der USA
einbestellt und mit aller Deutlichkeit das Verhalten der US-Geheimdienste maßregelt,
kommt auch nicht alle Tage vor.
Zwei Aspekte dieser Affäre
scheinen indes von besonderer Bedeutung: Erstens wurde die Bundeskanzlerin mit
der Forderung nach Aufklärung der Spähaffäre erst aktiv, nachdem sie selbst
Opfer einer Abhöraktion der amerikanischen Geheimdienste geworden war. Angesichts
einer flächendeckenden Ausspähung der gesamten Kommunikation in Deutschland interessierten
sie die Grundrechte und Datenschutzbelange der Bürger bislang nur am Rande. Der
Beschwerdeanruf der Kanzlerin bei US-Präsident Obama war notwendig, weil jede
weitere Untätigkeit zu einem massiven Ansehensverlust ihrer Person geführt
hätte.
Zweitens wirft die
Überwachung von Merkels Diensthandy einen tiefen Schatten auf die amerikanische
Sicherheitspolitik, die seit dem 11. September 2001 völlig außer Kontrolle
geraten ist. Ein Heer von Geheimdienstmitarbeitern ist seit Verabschiedung des „Patriot
Act“ damit beschäftigt weltweit Daten abzugreifen, um diese auf Terrorhinweise
auszuwerten. US-Sicherheitsbehörden und Geheimdienste beschädigen damit konsequent
die wertvollste Währung die es in der Beziehung zwischen Staaten geben kann:
Vertrauen.
Die US-Regierung muss daher alles daran setzen, verlorengegangenes
Vertrauen durch Aufklärung und ehrliche Verhaltensänderung zurückzugewinnen.
Das mag naiv klingen, ist aber letztlich der einzige Ausweg; ein „business as
usual“ kann es beim bisher bekannt gewordenen Ausmaß der Spähaffäre nicht geben. Handelt
die US-Administration nicht oder nur halbherzig, ist sie im Begriff, den
letzten vorhandenen Rest an Vertrauen zu verspielen und Freunde wie Feinde zu behandeln.
Eine solche Auffassung des Politischen würde sich letztlich wie ein Bumerang gegen
ihre Urheber selbst richten.