The witch is Dead!
Viele Briten gerieten
über den Tod Margaret Thatchers aus dem Häuschen. Warum?
Die Briten sind anders. Das ist zunächst einmal keine
wirklich neue Erkenntnis. Die Andersartigkeit vieler Briten vermag jedoch die
teilweise bizarren Reaktionen zu erklären, die im Londoner Stadtteil Brixton anlässlich
des Todes von Margaret Thatcher zu beobachten waren. Viele Briten gerieten über
den Tod der früheren Premierministerin vergangene Woche geradezu aus dem
Häuschen.
Neben Straßenparties und öffentlichen Freudenfesten wurde
via Facebook dazu aufgerufen, den Song „Ding Dong! The witch is Dead!“ aus dem
Märchenfilm „Der Zauberer von Oz“ runterzuladen. Das Ergebnis: Der Titel führt
seit Tagen die Liste der britischen Download-Charts an. Die als „Hexe“
geschmähte „Eiserne Lady“ polarisiert die Briten offenbar noch weit über ihren
Tod hinaus.
Zwar gab es die nach dem Ableben eines Prominenten zahlreichen,
üblichen Beileidsbekundigungen; das Ausmaß der unverhohlenen Freude über den
Tod Thatschers überrascht indes. So rief der linke Filmemacher Ken Loach im
„Guardian“ dazu auf, die Beerdigung Thatchers zu privatisieren und die
Ausrichtung auszuschreiben. Der billigste Anbieter bekäme auf diese Weise den
Zuschlag.
Was bitteschön war da los? Wie ist dieser vielfach
zelebrierte Hass zu erklären? Weshalb lassen viele Briten angesichts des Todes einer
Politikerin nicht mehr Pietät walten? In Deutschland wären solche Reaktionen
ganz und gar undenkbar; bei uns gilt vielmehr der Satz: „De mortuis nil nisi
bene“, was frei übersetzt in etwa bedeutet, dass man über einen Toten nicht
schlecht sprechen sollte.
Das Problem ist offenbar vielschichtiger als es auf den
ersten Blick erscheint. Der Hass vieler Briten auf Margaret Thatcher sitzt
tief, denn sie hat das Land massiv gespalten. In ihrer Regierungszeit
(1979-1990) wurden tiefe Einschnitte ins Sozialsystem gemacht und rigide
Ausgabenkürzungen durchgesetzt; die Steuern für die Reichen wurden gesenkt, die
Finanzmärkte liberalisiert.
Mit dem „Thatcherismus“ ist aber vor allem das marktliberale
Dogma „Weniger Staat - mehr Markt“ verknüpft, das eine ganze Epoche prägen
sollte. Fortan wurde auf der Insel alles versilbert, was zuvor - aus gutem
Grund - in staatlicher Hand war: Post, Eisenbahn, Fluggesellschaften und das
Gesundheitssystem wurden mit zum Teil katastrophalen Folgen privatisiert. Fast
alle Zechen des Landes wurden geschlossen.
England ist heute ein weitgehend deindustrialisiertes Land, das
kaum noch Güter produziert. Lediglich der Finanzsektor spielt international
noch eine bedeutende Rolle - eine verheerende Bilanz für das Mutterland der
Industrialisierung. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist durch Thatchers kalte,
neoliberale Politik enorm gewachsen. Die Briten haben also allen Grund zornig
zu sein auf Margaret Thatcher.
Bei alledem darf jedoch der britische Humor nicht außer Acht
gelassen werden. Der ebenso respektlose wie schwarze Humor der Briten lebt
geradezu von der brutalen Verletzung gesellschaftlicher Tabus. Die „The witch
is Dead“-Kampagne ist letztlich eine Spielart dieses anarchischen Humors, die
auch vor absurden Geschmacklosigkeiten nicht zurückschreckt. „The witch is
Dead“ - Englands Humor aber lebt!
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