Freitag, 19. April 2013

The witch is Dead!


The witch is Dead!
Viele Briten gerieten über den Tod Margaret Thatchers aus dem Häuschen. Warum?

Die Briten sind anders. Das ist zunächst einmal keine wirklich neue Erkenntnis. Die Andersartigkeit vieler Briten vermag jedoch die teilweise bizarren Reaktionen zu erklären, die im Londoner Stadtteil Brixton anlässlich des Todes von Margaret Thatcher zu beobachten waren. Viele Briten gerieten über den Tod der früheren Premierministerin vergangene Woche geradezu aus dem Häuschen.

Neben Straßenparties und öffentlichen Freudenfesten wurde via Facebook dazu aufgerufen, den Song „Ding Dong! The witch is Dead!“ aus dem Märchenfilm „Der Zauberer von Oz“ runterzuladen. Das Ergebnis: Der Titel führt seit Tagen die Liste der britischen Download-Charts an. Die als „Hexe“ geschmähte „Eiserne Lady“ polarisiert die Briten offenbar noch weit über ihren Tod hinaus.

Zwar gab es die nach dem Ableben eines Prominenten zahlreichen, üblichen Beileidsbekundigungen; das Ausmaß der unverhohlenen Freude über den Tod Thatschers überrascht indes. So rief der linke Filmemacher Ken Loach im „Guardian“ dazu auf, die Beerdigung Thatchers zu privatisieren und die Ausrichtung auszuschreiben. Der billigste Anbieter bekäme auf diese Weise den Zuschlag.

Was bitteschön war da los? Wie ist dieser vielfach zelebrierte Hass zu erklären? Weshalb lassen viele Briten angesichts des Todes einer Politikerin nicht mehr Pietät walten? In Deutschland wären solche Reaktionen ganz und gar undenkbar; bei uns gilt vielmehr der Satz: „De mortuis nil nisi bene“, was frei übersetzt in etwa bedeutet, dass man über einen Toten nicht schlecht sprechen sollte.

Das Problem ist offenbar vielschichtiger als es auf den ersten Blick erscheint. Der Hass vieler Briten auf Margaret Thatcher sitzt tief, denn sie hat das Land massiv gespalten. In ihrer Regierungszeit (1979-1990) wurden tiefe Einschnitte ins Sozialsystem gemacht und rigide Ausgabenkürzungen durchgesetzt; die Steuern für die Reichen wurden gesenkt, die Finanzmärkte liberalisiert.

Mit dem „Thatcherismus“ ist aber vor allem das marktliberale Dogma „Weniger Staat - mehr Markt“ verknüpft, das eine ganze Epoche prägen sollte. Fortan wurde auf der Insel alles versilbert, was zuvor - aus gutem Grund - in staatlicher Hand war: Post, Eisenbahn, Fluggesellschaften und das Gesundheitssystem wurden mit zum Teil katastrophalen Folgen privatisiert. Fast alle Zechen des Landes wurden geschlossen.

England ist heute ein weitgehend deindustrialisiertes Land, das kaum noch Güter produziert. Lediglich der Finanzsektor spielt international noch eine bedeutende Rolle - eine verheerende Bilanz für das Mutterland der Industrialisierung. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist durch Thatchers kalte, neoliberale Politik enorm gewachsen. Die Briten haben also allen Grund zornig zu sein auf Margaret Thatcher.

Bei alledem darf jedoch der britische Humor nicht außer Acht gelassen werden. Der ebenso respektlose wie schwarze Humor der Briten lebt geradezu von der brutalen Verletzung gesellschaftlicher Tabus. Die „The witch is Dead“-Kampagne ist letztlich eine Spielart dieses anarchischen Humors, die auch vor absurden Geschmacklosigkeiten nicht zurückschreckt. „The witch is Dead“ - Englands Humor aber lebt!

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