Ein Single kommt selten allein
Single-Dasein und Vereinzelung nehmen stark zu
Jeder, der schon einmal eine
Weile allein gelebt hat, kennt wohl dieses Gefühl: Man kommt von der Arbeit
nach Hause und würde sich gern mit einem geliebten Menschen über die
Geschehnisse des Tages austauschen, alltägliche Sorgen und Nöte teilen. Doch da
ist niemand.
Für jeden fünften Deutschen
ist dieses Szenario eine vertraute Realität. Denn rund 16 Millionen Menschen
leben als Single in einem Einpersonenhaushalt, das sind 40 Prozent mehr als im
Jahr 1990. Es gibt ganz offenkundig eine Tendenz zur Vereinzelung: Alleinsein
wird zunehmend zu einem Massenphänomen.
Der Soziologe Stefan Hradil
hat das Einzelkämpfer-Dasein einmal als „riskante Lebensform“ beschrieben. So
haben sich die meisten Singles mit ihrer Situation arrangiert und sind gut
vernetzt - sie haben mehr Freunde und Bekannte als Verheiratete. Aber die
psychische Situation von Singles, die schon lange allein leben, ist oft
instabil.
Vielen Singles geht ihre
Unabhängigkeit über alles und ihnen sind persönliche Freiheit und berufliche
Karriere wichtiger als eine erfüllte Partnerschaft. Andere sind schlicht
„Opfer“ eines flexiblen Arbeitsmarktes - sie sind zwar beruflich mobil im Sinne
eines „heute dort, morgen fort“ - deswegen aber auch oft ohne Partner.
Anders als in früheren
Zeiten stellt das Singlesein heute keinen Makel mehr dar. Wo in der
Vergangenheit „Junggesellen“ und „alte Jungfern“ als Übriggebliebene schon mal belächelt und verspottet wurden hat ihre Unabhängigkeit
sowie ihre schiere Präsenz in der Mitte der Gesellschaft heute zu neuer
Anerkennung geführt.
Trotzdem kommen sich viele Menschen
unvollkommen vor, wenn sie keinen Partner haben. Insbesondere der sonntägliche Spaziergeh-Paar-Terror kann den
gewöhnlichen Single zur Verzweiflung treiben und die innere Stabilität auf eine
schwere Probe stellen: Singles wandeln zuweilen auf einem schmalen Grat.
Dabei ist das Single-Dasein keine
Erfindung der Moderne. Menschen waren zu allen Zeiten und in allen Kulturen
ohne Partner; sie haben aber nicht zwangsläufig auch allein gelebt, sondern waren zumeist in die Familien integriert. Der
allein lebende, autarke Single ist tatsächlich ein Phänomen der modernen
Lebenswelt.
Für nicht wenige Singles
stellt das Alleinsein trotz eines mitunter großen Freundeskreises das alles
beherrschende Lebensthema dar. Soziale Netzwerke, Singlebörsen und
professionelle Partnervermittlungen profitieren mit ihren Online-Angeboten von
diesem gesellschaftlichen Trend zu Vereinzelung und Einsamkeit.
Der Dramatiker Heinrich von
Kleist hat früh erkannt, dass die Menschen nicht dauerhaft für
das Alleinsein geschaffen sind. In seinem Stück Amphitryon verleiht er der Sehnsucht nach einem anderen Menschen
Ausdruck, indem er Jupiter sagen
lässt: „In ew'ge Schleier eingehüllt, möcht er sich selbst in einer Seele
spiegeln.“
Jupiters
Klagelied gipfelt in dem ergreifenden Satz: „Auch der Olymp ist öde ohne Liebe“. Jupiter hatte das Single-Dasein wohl ziemlich
satt. Der Begriff „Single“ steht zwar erst seit 1993 im Duden und Kleist kannte
ihn infolgedessen nicht. Und doch wusste er schon damals, wovon er sprach.