Der Niedergang der SPD
Die Geschichte der SPD
und ihrer Wählerschaft ist die Chronik einer allmählichen Entfremdung
20,5 Prozent. Das ist das erschütternde Ergebnis, das die
SPD bei der vergangenen Bundestagswahl eingefahren hat. 20,5 Prozent. Man muss
sich diese Zahl wieder und wieder vor Augen führen, um das ganze Ausmaß des
Niedergangs der einst so großen und stolzen Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands zu begreifen. Die SPD hat im September diesen Jahres nicht einfach
nur eine Wahl verloren, sie hat in geradezu epischem Ausmaß Schiffbruch
erlitten. Bereits um 18.03 Uhr trat am Wahlabend ein sichtlich konsternierter Kanzlerkandidat
vor die Kameras, um voreilig den Gang der SPD in die Opposition zu verkünden
und damit die ungeliebte große Koalition demonstrativ zu beenden. Martin Schulz
kündigte zudem an, die SPD personell und inhaltlich zu erneuern. „Wir haben
verstanden" schien der geneigte Beobachter den großspurigen Ankündigungen eines
vermeintlich geläuterten SPD-Vorsitzenden zu entnehmen.
Doch geschehen ist seitdem das genaue Gegenteil. Die SPD hat
weder inhaltliche Konsequenzen aus der Wahlschlappe gezogen, noch ihr Personal ausgetauscht.
Martin Schulz wurde im Dezember erneut zum Vorsitzenden und Andrea Nahles zur
Fraktionsvorsitzenden im Bundestag gewählt; auch die stellvertretenden
Parteivorsitzenden sind im Großen und Ganzen die alten geblieben. Dabei hätte
die SPD einen personellen und programmatischen Neuanfang bitter nötig. Warum
aber ist die SPD bei den Landtagswahlen des Jahres 2017 und vor allem bei der
letzten Bundestagswahl so derart abgestürzt und hat dabei ihr schlechtestes
Wahlergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik eingefahren? Offenkundig gelingt es
der Partei gegenwärtig nicht mehr, ihr klassisches Milieu für die Politik der
SPD zu begeistern; auch ihre Fähigkeit zu ergründen, was die Menschen wirklich
umtreibt und bewegt, ist der Partei abhanden gekommen. Der Slogan „Zeit für
mehr Gerechtigkeit“ stellt mithin den Höhepunkt einer allmählichen Entfremdung
zwischen Wählerschaft und SPD dar.
Denn die Wähler haben dem zentralen Wahlversprechen nach
mehr Gerechtigkeit eine demonstrative Absage erteilt da sie wohl instinktiv
gespürt haben, dass derlei hehre Ziele durch Politik kaum je zu erreichen sind.
Wenn man diese Welt mit wenigen Begriffen umschreiben müsste, fiele einem
zweifellos auch der Begriff „ungerecht“ ein. Ein Umstand, den auch eine SPD
über Nacht nicht verändern kann. Wer beim Wähler dessen ungeachtet eine solch
hohe Erwartungshaltung nach „mehr Gerechtigkeit“ weckt, sollte sich nicht
wundern, wenn die meisten Bürger realistischer denken und diesen utopischen Weg
nicht mitgehen. Zumal die SPD seit 1998 an vier Bundesregierungen beteiligt war
und durch die Hartz-Reformen und die vergangenen Rentenkürzungen maßgeblich für
neue Ungerechtigkeiten verantwortlich zeichnet. Dass sich diese Partei nun aufschwang,
von mehr Gerechtigkeit zu schwadronieren, erschien infolgedessen einigermaßen
unglaubwürdig. Kurzum - die SPD lag mit ihrer zentralen Wahlkampfbotschaft
komplett daneben. Auch der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, der auf dem
Wahlparteitag im März 2017 mit 100 Prozent noch ein Honecker-Jubelergebnis einfahren
konnte, stellte sich im Wahlkampf als der wohl schwächste sozialdemokratische Bewerber
fürs Kanzleramt seit 1949 heraus.
Parteichef Schulz (r.), Vize Stegner nach der NRW-Wahl |
Dies wurde nicht zuletzt nach dem „Umfallen“ der Partei im
Zuge der Weichenstellung für eine neuerliche großen Koalition deutlich. Das
wenig professionelle Agieren nach der Wahl wurde von politischen Forderungen an
die Union flankiert, die erneut jedes Augenmaß und jeden Bezug zur politischen
Realität vermissen lassen. Insbesondere der von der SPD aus humanitären Gründen
geforderte Familiennachzug für Flüchtlinge steht den Interessen der meisten
SPD-Wähler diametral entgegen. Denn die bemerken vor Ort sehr gut, wie sich
ihre Stadtteile schleichend aufgrund der seit 2015 vollzogenen, ungeregelten Massenzuwanderung
im Zuge der Flüchtlingskrise verändert haben. Der zeitweilige Kontrollverlust
und das Gefühl vieler Bürger fremd im eigenen Land zu sein, haben viel
Vertrauen in Staat und Parteien verspielt und zum Erstarken der rechtspopulistischen
AfD geführt. Dass gerade die klassische SPD-Klientel in sozialschwachen Arbeiterstadteilen
mit den negativen Folgen der Zuwanderung im Alltag alleingelassen wird, zeigt,
wie realitätsenthoben die elitären Genossen in Bund und Ländern mit ihren
universalistischen Forderungen agieren. Dabei wird der Familiennachzug besonders
von der SPD mit ihren notorischen Neigungen zu weltumspannenden Fensterreden und
einer Moralisierung des Politischen zum Allheilmittel für alle Probleme rund um
das Thema Zuwanderung und Integration verklärt.
Der geforderte Familiennachzug wird aber alle bisher
vorhandenen Probleme eher noch verschärfen denn lösen, er wird die Menschen zu
weniger Integration und Anstrengung animieren, vorhandene Parallelgesellschaften
befördern und auch die Islamisierung mit hoher Wahrscheinlichkeit verstetigen.
Wer das nicht für möglich hält, sollte einmal nach Frankreich blicken, wo vor
40 Jahren eine ebensolche Entwicklung einsetzte. Dort hatte man seit den 1950er
Jahren Migranten als billige Arbeitskräfte für die französische Industrie nach
Frankreich geholt. Die Anwerbung von Arbeitskräften aus den Maghrebstaaten
wurde zwar in den 1970er Jahren gestoppt, die Menschen erhielten jedoch das
Recht zu bleiben und ihre Angehörigen nachzuholen. Der französische
Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing und sein Premierministier Jacques
Chirac verabschiedeten 1976 ein entsprechendes Gesetz zur
Familienzusammenführung. Was letztlich als humanitäre Geste gut gemeint war
führte zu einer zahlenmäßig starken Einwanderung von weitgehend unqualifizierten
Menschen aus der früheren französischen Kolonie Algerien, auf die das Land
schlecht vorbereitet war.
Die Konsequenzen dieser Einwanderungswelle aus Nordafrika,
die kaum sozial flankiert und durch ausreichende finanzielle Mittel und
Arbeitsplatzangebote abgesichert wurde, lassen sich heute in jeder größeren
Stadt Frankreichs besichtigen: Banlieues, Vorstadt-Ghettos, soziale
Verwahrlosung, Arbeitslosigkeit, Gewalt, Kriminalität und Frustration bis hin
zu Islamisierungstendenzen haben sich zu einem gefährlichen sozialen
Sprengstoff im Land verdichtet. Den rechtsradikalen Front National Marine Le
Pens würde es ohne die aus der Einwanderung resultierenden Probleme wohl kaum
geben. Gelegentlich kann es also nicht schaden, in die Geschichte zu schauen, um
daraus Lehren für die eigene Gegenwart und Zukunft des Landes abzuleiten. Auch
Schulz’ radikaleuropäischer Vorschlag, die „Vereinigten Staaten von Europa“ zu
begründen und alle Länder, die diesen Schritt nicht mitgehen wollen, kurzerhand
aus dem Staatenbund herauszuschmeißen, sorgt bei vielen Menschen vor Ort nur
noch für fassungsloses Kopfschütteln. Denn die meisten Menschen sehen im demokratischen
Nationalstaat nicht das zentrale Problem das es zu überwinden und gegen Europa
auszuspielen gelte, sondern vielmehr den Hort für ökonomischen Wohlstand, innere
Sicherheit und regionale Heimatverbundenheit - wohlgemerkt in einem vereinigten
Europa der Völker.
SPD-Wahlplakat: ist der Niedergang noch aufzuhalten? |
Schließlich sollte die SPD einer dritten Auflage einer
großen Koalition binnen 12 Jahren eine Absage erteilen. Sie sollte sich kein
weiteres Mal als Königsmacher für eine letzte Amtszeit Angela Merkels zur
Verfügung stellen. Denn die Partei würde in der Regierung nur weiteres Profil
verlieren, da die erhoffte Regeneration und Neubesinnung in der Opposition ausbliebe.
Die SPD sollte sich vielmehr als konstruktiver Partner für die Duldung einer
von CDU/CSU geführten Minderheitsregierung anbieten. Auch so kann
verantwortliches politisches Handeln in einer Demokratie aussehen! Denn bei
Lichte besehen ist die SPD seit der Bundestagswahl politisch insolvent, ihre
Beziehung zu den Bürgern nachhaltig gestört. Ein erneuter Eintritt in eine vom
Wähler mehrheitlich nicht gewollte große Koalition würde nichts anderes als
eine Insolvenzverschleppung darstellen, die den Fortbestand der Partei
ernsthaft gefährden würde. In nicht allzu ferner Zukunft könnte die SPD bei
Wahlen dann gar hinter der AfD oder der Linken landen. Die strukturelle Schwäche
der sozialistischen Parteien in Europa, die in Frankreich, den Niederlanden
oder in Griechenland zuletzt nur noch einstellige Wahlergebnisse erzielen
konnten, sollte der SPD als Warnung genügen. Denn nur wer sich beizeiten neu
erfindet und auch personell umfassend erneuert, wird die kommenden Zeiten überdauern.
Hat die SPD die Zeichen der Zeit erkannt? Es sieht nicht
wirklich danach aus. Das letzte Kapitel im finalen Niedergang der SPD wird wohl
erst noch geschrieben werden müssen.