Die Magie
des Zufalls
Kaum
etwas beeinflusst unser Leben so stark wie der Zufall
Es ist Zufall, aber beileibe keine Seltenheit: Zwei einander unbekannte
Menschen treffen sich im Abteil eines Zuges. Der Zufall wollte es, dass ihre
reservierten Plätze nebeneinander liegen. Sie kommen ins Gespräch, lernen sich
kennen, lieben und haben sogar Kinder zusammen. Eine ganze „Filialgeneration“
junger Menschen verdankt sein Leben einer ganz und gar zufälligen Platzvergabe
im Zug.
Ein Würfel fällt zufällig auf die Zahl 6. Bevor sich der Würfel
entschieden hat, ist völlig offen, auf welche der 6 Zahlen er schlussendlich
fällt. Sein „Fall“ ist Zufall, nichts weiter. Ein weiteres Beispiel: Ein
Fußball springt vom Pfosten einem Spieler unverhofft vor die Füße - er macht
das Tor. Besonders im Sport ist der Erfolg nur bedingt planbar, denn hier hängt
viel von Tagesform, Glück und eben Zufall ab.
Alles Zufall, oder was? Wann aber handelt es sich um Zufall und was
macht diesen letztlich aus? Ein Zufall liegt immer dann vor, wenn es für das
Eintreten eines singulären Ereignisses keine eindeutige, ursächliche Erklärung
gibt. Im Umkehrschluss stellt der Zufall einen Verzicht auf jedwede kausale
Erklärung dar. Zufall ist folglich das Eintreten eines nicht vorhersehbaren
Ereignisses.
Das Leben ist voller Zufälle, kommen diese nun als glückliche Fügung oder
bitterer Schicksalsschlag daher. Der Zufall widerstrebt mit seinen
überraschenden Ereignissen einer dem Menschen innewohnenden Natur nach
Sicherheit und Vorausberechnung. Ihm wohnt ein unplanbares und unerwartetes
Momentum inne, wenn urplötzlich die Geschehnisse über einen hereinbrechen.
Die Würfel sind gefallen: Alles Zufall, oder was? |
Bisweilen kommt es beim Zufall auch zu einer bizarren Verkettung
mehrerer, unwahrscheinlicher Ereignisse. Zahlreiche Katastrophen sind häufig
einer unglückseligen Verknüpfung zufälliger Ereignisse zuzuschreiben. Beim
Flugzeugabsturz von Überlingen (2002) führten einige verhängnisvolle Zufälle
dazu, dass zwei Flugzeuge im deutschen Luftraum miteinander kollidierten.
1928 fand der schottische Bakteriologe Alexander Flemming heraus, dass
eine zufällig durch Pilzsporen verunreinigte Probe mit Staphylokokken überall
dort keine Bakterien mehr enthielt, wo sich der Pilz ausgebreitet hatte. Der
Pilz produzierte ein Gift, mit dem diverse Krankheitserreger getötet werden
konnten. Flemming hatte durch puren Zufall das Penicillin entdeckt.
Viele absichtslose Entdeckungen in der Medizin sind demnach dem Zufall
geschuldet. Der sprichwörtliche „Kommissar Zufall“ führte in vielen
Kriminalfällen noch nach Jahren zur Aufklärung von bislang ungelösten
Straftaten. Auch in der Kosmologie gilt der Zufall als das Grundprinzip des
Seins: das mit dem Urknall entstandene Universum ist zufällig und ohne einen
letzten Grund entstanden.
Der Zufall ist die nicht zu berechnende Größe, die den Lauf der Welt
ganz wesentlich bestimmt. Im Englischen heißt Zufall übrigens „accident“;
derselbe Begriff wird allerdings auch mit „Unfall“ oder „Missgeschick“ übersetzt.
Kein Wunder also, dass manch Zeitgenosse dem Zufall etwas reserviert
gegenübersteht: Die meisten Menschen wollen durch eine perfekte Planung nichts
dem Zufall überlassen.
Angesichts vieler, glücklicher Fügungen durch den Zufall erscheint
dieses Verhalten allerdings unverständlich. Fast möchte man dafür plädieren, das
Unerwartete und Unplanbare nicht von vornherein auszuschließen, um der Magie
des Zufalls öfters eine Chance zu geben. Künftige Generationen, deren Eltern
sich dereinst im Zug kennenlernen werden, hätten dann allen Grund, dem Zufall
dankbar zu sein.