Vergangenheit, die
nicht vergehen will
80 Jahre
„Machtergreifung“: Die Erinnerung an Hitler geht in die nächste Runde
Soviel Hitler war nie. Pünktlich zum 80. Jahrestag von
Hitlers „Machtergreifung“ geht die Erinnerung an den Nationalsozialismus und
Adolf Hitler in die nächste Runde. Es ist wie mit dem Maya-Kalender, der wieder
von vorn zu zählen beginnt. Die Zyklen der nationalsozialistischen Ära sind allerdings
weitaus kürzer als die der Maya: Hitlers Reich, das sich tausendjährig wähnte,
hat nur ein Dutzend Jahre überdauert.
Grund genug, alle zwölf Jahre einen neuen Erinnerungszyklus zu
beginnen. Als wichtige Grundlage unserer historischen Erinnerung gilt die
sogenannte „Anlassgeschichtsschreibung“, die mit der Wiederkehr bedeutender
Ereignisse und Jubiläen die Taktung des historischen Kalenderjahres vorgibt. Da
kommt die „Machtergreifung“ gerade recht. Obwohl darüber doch eigentlich alles längst
gesagt ist.
Denn kaum ein Thema der Geschichtsschreibung ist besser
erforscht als das Dritte Reich. Alle Facetten der Hitlerzeit scheinen
ausgeleuchtet; beinah jeder Tag der Diktatur ist minutiös erforscht. Zum
Jahrestag der „Machtergreifung“ ist dessen ungeachtet mit einer weiteren Fülle
von Büchern, Zeitschriften, Artikeln, und TV-Produktionen zu rechnen, welche die
Publikationsflut zum Thema weiter vermehren.
Besonders das Geschichtsfernsehen des Guido Knopp ist ohne Hitler kaum
vorstellbar. „Hitler - eine Bilanz“, „Hitlers Helfer“, „Hitlers Krieger“,
„Hitlers Frauen und Marlene“, „Hitlers Kinder“, „Hitlers Manager“ und nun erneut
die „Machtergreifung“ hätten ohne die freundliche Vorarbeit des „Führers“ nicht
realisiert werden können. Einzig „Hitlers Hunde“ warten noch auf eine fernsehgerechte
Aufbereitung durch die Mainzer.
Die regelmäßigen Wiederholungen der Doku-Dramen, die auf den
Spartenkanälen des ZDF beinah täglich zu besichtigen sind, tragen allerdings
nicht selten zur Ermüdung des Publikums bei. Auf die Spitze treibt es der
Nachrichtenkanal N24, der in seinen militärhistorischen Dokumentationen die
Hauptstadt regelmäßig in Schutt und Asche legt. Den Spott-Titel „Nazi 24“ hat
sich der Sender redlich verdient.
Auch im Printbereich geht ohne Hitler nix: „Der Spiegel“ kann
seine Auflage erheblich steigern, sobald Hitler auf dem Titel erscheint. Das
Konterfei des „Führers“ zierte in den vergangenen Jahren immer wieder den Titel
des Magazins, so dass man nicht ohne Grund von einer (verkaufsfördernden)
Hitler-Obsession sprechen kann. Hitler - so scheint es - ist allgegenwärtig; er
steht für eine Vergangenheit, die einfach nicht vergehen will.
Um nicht missverstanden zu werden: Historische Erinnerung und
Aufklärung - insbesondere an das Grauen der Nazi-Diktatur mit Weltkrieg und
Holocaust - sind wichtig. Es kommt aber auch hier auf die richtige Dosis an. Die
Deckerinnerung der Hitlerzeit hat andere Epochen dermaßen an den Rand gedrängt,
dass diese kaum mehr wahrgenommen werden. Ein bisschen weniger Hitler würde da
wohl nicht schaden.
Guido Knopp geht übrigens Ende Januar 2013 - pünktlich zur Wiederkehr der „Machtergreifung“ - in den wohlverdienten Ruhestand. Welch Ironie
der Geschichte.