Freitag, 19. Oktober 2012

Stadt der Vollidioten


Stadt der Vollidioten
Seit einem Jahr geben sich Städte in NRW peinliche Beinamen. Eine Bilanz

An allem ist Hagen Schuld. Einst als "Tor zum Sauerland" bekannt, verpasste sich die Stadt bereits 2010 einen klingenden Beinamen, der einem zwar nicht flott über die Lippen geht, doch dafür umso fixer auf alle Ortsschilder der Stadt geklebt wurde: "Stadt der FernUniversität." Humorige Bürger überklebten daraufhin zahlreiche Schilder mit dem Zusatz "Stadt der Vollidioten". Die Stadt reagierte weniger humorvoll und erstattete Anzeige, musste allerdings auch den Beinamen „FernUni“ wieder von den Schildern nehmen, da es dafür keine Rechtsgrundlage gab.

Seitdem die Gemeindeordnung vor einem Jahr geändert wurde, dürfen sich Städte und Gemeinden im Bindestrich-Bundesland NRW nun ganz offiziell mit allerlei phantasievollen Namenszusätzen schmücken. Dadurch sollen die Kommunen nicht nur unverwechselbarer und selbstbewusster werden, sondern auch in ihrer regionalen Identität gestärkt werden. Soweit die amtliche Theorie. In der Praxis wurden daraus allerdings teilweise dämliche Namenszusätze, die einen zuweilen an Schild-Bürgerstreiche erinnern. 

Insgesamt 22 Städte und Gemeinden in NRW dürfen derzeit mit dem Segen des Landesinnenministeriums Beinamen führen. Den Anfang machten Anwärter auf den wohl begehrtesten Namenszusatz im Land, die Hansestädte, in deren erlauchten Kreis sich nunmehr auch die Städtchen Warburg und Wipperfürth, eine Kleinstadt bei Köln, einreihen dürfen. "Hansestadt Wipperfürth" - da schlägt das Herz doch gleich ein wenig schneller, wenn man sich fortan auf Augenhöhe mit Hansestädten wie Hamburg, Bremen oder Lübeck wähnt.

Doch es kommt noch besser. Solingen, weltberühmt für seine Klingen und Messer, nennt sich tatsächlich "Klingenstadt"; die Stadt Kerpen führt aufgrund ihres berühmten Sohnes und Begründers des Kolpingwerkes, Adolph Kolping, den launigen Beinamen "Kolpingstadt". Den Vogel abgeschossen hat jedoch die selbsternannte "NRW-Klimakommune" Saerbeck im Münsterland, die sie sich "auf dem Weg hin zu einer klimaneutralen Kommune" befindet. Auweia. 

Dass früher auch nicht alles besser war, belegt ein Blick in die Geschichtsbücher. So durften deutsche Städte zwischen 1933 und 1945 Ehrentitel als Beinamen führen: Aus Goslar wurde die "Reichsbauernstadt" und Leipzig avancierte zur "Reichsmessestadt". Nürnberg war die "Stadt der Reichsparteitage", München mutierte zur "Hauptstadt der Bewegung" und Essen war, dank Krupp, die "Waffenschmiede des Reiches". Eine Anregung für die Gegenwart? Wohl kaum. 

Wollte man den kommunalen Wahn, pfiffige Beinamen zu Marketingzwecken zu ersinnen, auf die Spitze treiben, so böten sich auch bundesweit allerlei fiese Zusätze an. Aus Solingen würde geschwind die "Stadt der fliegenden Messer" und aus Kerpen die "Michael-Schumacher-Stadt". Aus der "Händelstadt" Halle könnte die "Plattenbaustadt Halle an der Saale" erstehen und aus Baden-Baden schließlich, der Millionärsstadt mit der landesweit höchsten Selbstmord-Rate, würde umgehend "Suicide-City".

So manch namensverlängernde Maßnahme führt also nicht unbedingt zu einem höheren Wiedererkennungswert oder einem flotten Alleinstellungsmerkmal, sondern vielmehr zu Hohn und Spott. Die Städte und Gemeinden wären gut beraten, sich keine peinlichen Beinamen mehr zuzulegen. Denn sonst ergeht es ihnen möglicherweise wie dem eingangs erwähnten Hagen, welches mit einer Facebook-Seite unter dem Titel "Stadt der Vollidioten" gelistet ist. 450 Facebook-Mitgliedern gefällt das. Wen wundert's? 

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