Samstag, 22. September 2012

In Münster ist kein Platz für Hindenburg


In Münster ist kein Platz für Hindenburg
Der Schlossplatz der Stadt wird nicht erneut umbenannt. Eine kluge Entscheidung

Im westfälischen Münster hat man offenbar auf Platz gesetzt und nicht auf Endsieg: Der Ratsbeschluss aus dem März diesen Jahres, der vorsah, den Hindenburgplatz in Schlossplatz umzubenennen, wird nicht revidiert. Die Bürger der Stadt waren am vergangenen Sonntag dazu aufgerufen, über den Ratsbeschluss in einem Bürgerentscheid endgültig abzustimmen. 

Das Urteil war eindeutig: Fast 60 Prozent der abgegebenen Stimmen stimmten dafür, den Namen Schlossplatz beizubehalten, rund 40 Prozent wollten ihren traditionellen Hindenburgplatz wieder zurück haben. Der Abstimmung war eine kontroverse Diskussion um die Rolle Paul von Hindenburgs vorausgegangen, denn der langjährige Namensgeber des Platzes ist einigermaßen umstritten. Doch wer war Hindenburg und warum vermag es diese historische Figur die Gemüter - nicht nur in Münster - derart zu erregen? 

Die Wurzeln des Hindenburg-Mythos reichen bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges zurück. Der kometenhafte Aufstieg des aus dem Ruhestand reaktivierten Generals begann, als Hindenburg in der legendären Schlacht von Tannenberg Ostpreußen von den Russen befreite. Die nach charismatischen Kriegshelden gierige Öffentlichkeit fand in Hindenburg eine überragende, nationale Integrationsfigur, der man zahllose Heldentaten zuschreiben konnte. Als siegreicher Feldherr stellte Hindenburg Kaiser Wilhelm II. bald ganz in den Schatten und avancierte im weiteren Kriegsverlauf zu einer Art „Ersatzkaiser“ des Reiches.

Das nach ihm benannte „Hindenburgprogramm“, ein Wirtschafts- und Rüstungskonzept von bislang ungekannter Dimension, machte Deutschland fit für den totalen Krieg. Hindenburgs Name ist aber vor allem eng mit dem sinnlosen Massensterben an den Fronten verknüpft: Seit August 1916 stand er der 3. Obersten Heeresleitung vor. Obwohl er wusste, dass der auf breiter Front erstarrte Stellungskrieg nicht  zu gewinnen war, schickte er immer neue Truppen in die menschenverschlingenden Materialschlachten.

Der überzeugte Monarchist, der 1918 die perfide Dolchstoßlegende in Umlauf gebracht hatte, führte nach dem Krieg seine Karriere nahtlos fort und wurde 1925 zum Reichspräsidenten und „Hüter der Verfassung“ gewählt. Mit dieser Verfassung ging der greise Weltkriegsheros nach 1930 allerdings nicht besonders pfleglich um: Hindenburg installierte von ihm abhängige Reichskanzler, die mit Notverordnungen regierten. Er stellte damit die Weichen für ein autoritäres Präsidialsystem, mit dessen Hilfe die Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie betrieben wurde. 

Zu guter Letzt ist der Name Hindenburgs untrennbar mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler verbunden. Hindenburg war es, der, gedrängt durch seine Berater, den Staat der Hitlerbewegung auslieferte. Er unterzeichnete 1933 zudem die sogenannte Reichstagsbrandverordnung, die als „Verfassungsurkunde des Dritten Reiches“ (Ernst Fraenkel) gilt, und mit deren Hilfe die Weimarer Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden. Fortan war der Terror legal und die Willkür Gesetz. Paul von Hindenburg ist demnach keine gewöhnliche Gestalt der deutschen Geschichte, er ist vielmehr, wie der Historiker Heinrich August Winkler einmal zutreffend formulierte, „ein deutsches Verhängnis“. 

Als Namenspatron für die Straßen und Plätze des heutigen Deutschland  erscheint Hindenburg insoweit kaum geeignet. Der Hindenburgplatz in Münster hieß bis 1927 übrigens Neuplatz; ein Umstand der belegt, dass nichts ewig währt und eine Stadt sich beständig neu erfindet. Allmählicher Wandel und behutsame Veränderungen, die nicht selten einem bestimmten Zeitgeist entsprechen und Ausdruck eines veränderten Bürgerwillens sind, stellen ein Merkmal lebendiger Demokratie dar. Das schließt die gelegentliche Umbenennung von Straßen und Plätzen ausdrücklich mit ein. 

Sollten nun überall im Land Straßen und Plätze umbenannt werden, sofern der Namensträger sich als eine für die Demokratie ungeeignete Persönlichkeit erweist? Nun, wo sich eine politische Mehrheit und eine entsprechende Initiative dafür findet, warum nicht? Bürgerentscheide dieser Art würden die demokratische Mitwirkung stärken und wären ein Ausdruck von mehr direkter Demokratie. In Münster hat sich eine Mehrheit dazu entschlossen, Hindenburg künftig keinen Platz mehr einzuräumen. Eine kluge Entscheidung. 



1 Kommentar:

  1. Natürlich will niemand in einer Roland-Freisler-Straße wohnen oder Gemüse auf einem Göringplatz kaufen. Wer sich schwerster Verletzungen wider die Menschlichkeit hat zu Schulden kommen lassen, verdient selbstverständlich keine Straße. Aber genügt es schon, kein Demokrat gewesen zu sein oder aus heutiger Sicht falsche Entscheidungen getroffen zu haben? Im Übrigen, es ist doch nicht so, als würde man heute mit einem Straßennamen, den man vor Jahrzehnten vergeben hat, noch irgendeine politische Aussage treffen. Welcher Kunde einer Dönerbude in der Hindenburgstraße kennt schon Hindenburg? Böte man ihm einen doppelten Hindenburger TS an, er würde ihn ohne zu zögern bestellen. Zugegeben, Hindenburg war kein Demokrat. Aber er war auch kein Nazi. Wenn wir heutige Maßstäbe anlegen, geht es nicht nur Hindenburg und Kaiser Wilhelm, sondern auch dem Barbarossa-Platz an den Kragen. Und wären die Experimente Robert Kochs durch einen heutigen Ethik-Ausschuss gegangen? Wohl kaum. Straßennamen stehen heute doch weniger für die namensgebenden historischen Personen, an die sich nur noch wenige Interessierte oder Historiker erinnern. Sie sind nur noch Namen, ein dünner letzter Faden Geschichtsbewußtsein. Eine Hindenburgstraße ehrt nicht so sehr die fragwürdigen Leistungen Hindenburgs, vielmehr repräsentiert sie die Wahrnehmung Hindenburgs in der Bevölkerung und deren Überzeugung, dass der Reichspräsident der Ehre wert sei. Es war ja nicht Hindenburg, der Straßen nach sich benannt hat, sondern die Stadtoberen setzten damit in der Regel ein allgeimeines Bedürfnis um. Mit Umbenennungen entehren wir somit nicht die Persönlichkeiten, die einst als Namenspatron dienten, vielmehr revidieren rückwirkend die Überzeugungen und Ansichten der damaligen Bevölkerung. Das erscheint mir immer unredlich und arrogant. Sie kann sich ja nicht mehr wehren.
    Wenn Münster nun also glaubt, eine eiternde Wunde aus dem Stadtplan operiert zu haben und sich nun gesünder fühlt, bitte schön. Ich denke aber, etwas mehr Gelassenheit ist manchmal die bessere Medizin. mw

    AntwortenLöschen