Die Zeit, die Zeit
Gedanken zum Jahresanfang: Über das Wesen der
Zeit
„Allem Anfang wohnt ein
Zauber inne“ heißt es. Darin kommt die Hoffnung zum Ausdruck, dass jeder
Neustart die Dinge positiv verändern kann. Der Jahresanfang ist ein solcher Neubeginn,
der vielfach mit Vorsätzen, Wünschen aber auch Sorgen einhergeht. Das Ende des
alten und der Beginn eines neuen Jahres markieren eine Wegscheide. Grund genug,
sich einmal mit dem Wesen der Zeit zu befassen.
Zeit - das ist am Anfang
eines Jahres zunächst einmal der Zeitsprung vom alten in ein neues Jahr. Die
Zeit wird im täglichen Leben vor allem durch messbare Einheiten erfahren:
Jahre, Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden. Das ist jedoch nur
die äußere Gestalt der Zeit, ihre messbare
Seite, die ganz und gar menschengemacht ist. Aber die Zeit ist mehr als das.
In unserer subjektiven
Wahrnehmung wird die Zeit nicht nur durch den Kalender und die Uhr, also den Instrumenten
zur Messung der Zeit erlebt, sondern auch durch die Jahreszeiten zyklisch strukturiert.
Die Jahreszeiten fungieren als Beharrungskräfte gegen den Mahlstrom der Zeit.
Sie sind die wiederkehrenden, äußerlich sichtbaren Rituale eines ständigen
Werdens und Vergehens, die zum Innehalten einladen.
Der zyklische Rhythmus der
Jahreszeiten gibt ähnlich den Mond- oder Sonnenphasen Orientierung und
Sicherheit im Kampf gegen die Linearität einer unaufhaltsam verstreichenden
Zeit. Der Philosoph Hegel hat mit dem Begriff der „Furie des Verschwindens“ die
Schreckensherrschaft der Französischen Revolution bezeichnet. Er lässt sich
jedoch auch vorzüglich auf die Zeit anwenden.
Die winterliche Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz |
Konstitutiv für die Zeit
ist, dass sie permanent vergeht. Was eben noch Zukunft war ist im Nu bereits in der Gegenwart angelangt
um einige Momente später bereits wieder Vergangenheit zu sein. Gegenwart ist also
immer: Solange man am Leben ist, gibt es ein Jetzt. Vergangenheit wird dabei durch
Erinnerung vergegenwärtigt,
festgehalten und auf diese Weise vor dem endgültigen Verschwinden bewahrt.
Der Philosoph Rüdiger
Safranski hat es in seinem Buch „Zeit“ (2015) so formuliert: „Die Zeit bewirkt,
dass wir einen schmalen Streifen von Gegenwärtigkeit bewohnen, nach beiden
Seiten umgeben von einem Nicht-Sein: das Nicht-Mehr der Vergangenheit und das
Noch-Nicht der Zukunft“. Die Zukunft kommt der Gegenwart entgegen um nach einem
kurzen Moment Gegenwärtigkeit selbst zur Vergangenheit zu werden.
Der Mensch ist im
Gegensatz zum Tier ein Wesen, das ein Zeitgefühl hat und mit dem Wissen um den
eigenen Tod ausgestattet ist. Die menschliche Sorge aus dem Dasein ins Nichts
zu fallen ist dabei ebenfalls auf die Zeit gerichtet, auf ein in der Zukunft
liegendes Noch-Nicht. Das Unvorhersehbare sorgt den Menschen, der nicht wie die
Katze ganz im Augenblick aufgeht, die noch kurz vor ihrem Tod selig schnurrt.
Die Zeit, jene „Furie
des Verschwindens“, wird mit zunehmender Lebensdauer als immer schnelllebiger
empfunden. Kein Wunder: Time is running out! Was also ist nach diesem
Räsonieren über die Zeit vom neuen Jahr zu erwarten? Hoffentlich Gutes! Erich
Kästner hat es einmal so formuliert: „Wird's besser? Wird’s
schlimmer? fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer
lebensgefährlich!“
Das
ist von zeitloser Gültigkeit. Und dem ist nichts hinzuzufügen.