Die
Mühsal des Daseins
Camus’ Sisyphos könnte aus Berlin-Friedrichshain stammen. Eine
Spurensuche
Das Leben ist nicht immer einfach. Die ewige Sorge ums Dasein
kann einen schon mal um den Schlaf bringen oder doch zumindest gehörig die Stimmung
verhageln. An manchen Tagen kommt es ja auch knüppeldick: alles
Schlechte scheint sich sodann verabredet zu haben, um uns mit List und
Gemeinheit die Niederungen des Daseins vor Augen zu führen.
Als literarisches Sinnbild für die ewige Mühsal der Existenz gilt
„Der Mythos des Sisyphos.“ Das philosophische Hauptwerk des französischen Existentialisten
Albert Camus (1913-1960) beschäftigt sich mit der Absurdität der menschlichen Existenz.
Camus’ Held, Sisyphos, wurde von den Göttern dazu verurteilt, unablässig einen schweren
Felsblock einen Berg hinaufzurollen.
Sobald Sisyphos den Gipfel des Berges erreicht, rollt der Stein
kraft seines eigenen Gewichtes wieder hinab. Alle Arbeit, alle Mühsal ist
umsonst. Die Strafe der Götter stellt sich als eine besonders grausame dar,
denn sie verurteilt Sisyphos zu einer vollkommen sinnfreien Strafarbeit, welche
die Absurdität und Verlorenheit des menschlichen Daseins offenlegt.
Das Spannungsverhältnis zwischen einer vermeintlich sinnlosen
Welt und einer menschlichen Existenz, die ihrem Dasein darin einen objektiven
Sinn zuschreiben möchte, begründet das Absurde. Nun gibt es auf diesem
Planeten Orte, an denen sich Mühsal, Sinnlosigkeit und menschliche Sorge zu einer
geheimnisvollen Melange verdichten.
Absurde Orte.
Ein ebensolcher Ort befindet sich in Berlin, mitten im
Hipster-Stadtteil Friedrichshain. Die Ecke Mühsam-/Sorgestraße ist offenkundig
ein solch problembeladener Ort, an dem die ganze Last des Daseins das
Individuum zu erdrücken droht. Wie viel Mühsal und Sorge vermag ein
Menschenleben an solch bedrückendem Ort schultern? Hat Sisyphos hier einst
gelitten?
Problembeladene Zone: Ecke Mühsam-/Sorgestraße |
Die Namensgeber der Kreuzung, Erich Mühsam (1878-1934) und
Richard Sorge (1895-1944), können keine Auskunft mehr geben, sie sind längst
tot. Erich Mühsam war Anarchist und Schriftsteller, der von den Nazis ermordet
wurde. Der Kommunist Richard Sorge war als Spion für die UdSSR im Zweiten Weltkrieg
aktiv und wurde dort als „Held der Sowjetunion“ verehrt.
In dem Aufbegehren gegen die absurde Existenz erlangt Sisyphos
am Ende die Freiheit wieder und kann sich auf diese Weise selbst
verwirklichen. Er nimmt sein Schicksal durch Verachtung an und besiegt dadurch
das Urteil der Götter - und das alles mitten in Berlin, wer hätte das gedacht! Als ob
es hier nicht schon genug bedeutungsvolle Orte von Weltrang gäbe.
Mühsam und Sorge - Nomen est omen auf ewig? Weit gefehlt! Der Philosoph
Immanuel Kant (1724-1804) hat drei Dinge auserkoren, die helfen, die Mühsal des
Lebens zu tragen: Den Schlaf, die Hoffnung und das Lachen. Das sollte auch an
problembeladenen Zonen wie der Ecke Mühsam-/Sorgestraße funktionieren. Aller
Absurdität der menschlichen Existenz zum Trotz.
Albert Camus hätte das vielleicht gefallen.